Menschenhandel
In Deutschland wird regelmäßig über Menschen berichtet, die in der Prostitution oder auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet werden. Sind sie gegen ihren Willen in solche Situationen gebracht worden, kann „Menschenhandel“ vorliegen. Kriminalstatistiken zufolge sind viele der Betroffenen Migranten. Was aber genau steckt hinter dem Begriff? Warum gibt es keine verlässlichen Zahlen zum Ausmaß des Problems? Und wieso werden nur wenige Fälle vor Gericht verurteilt?
Was ist Menschenhandel?
Laut Definition der Vereinten Nationen umfasst Menschenhandel „die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung (…) zum Zweck der Ausbeutung".Quelle
Menschenhandel liegt also dann vor, wenn Menschen gegen ihren Willen – das heißt durch Täuschung, Zwang oder Drohung – in Ausbeutungssituationen gebracht werden, aus denen sie sich nicht mehr befreien können. Erfüllt wird der Tatbestand aber nur, wenn drei Elemente zusammen auftreten:
- Rekrutierung der Betroffenen: Anwerbung, Transport, Beherbergung oder Aufnahme von Personen
- Zwang: Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder die Ausnutzung einer besonderen Hilflosigkeit
- Ausbeutung: Ausnutzung der Prostitution oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Körperorganen
Menschenhandel heißt nicht zwangsläufig, dass die Betroffenen aus dem Ausland rekrutiert werden. Menschenhandel kann es auch innerhalb eines Landes geben.
Was unter Menschenhandel verstanden und rechtlich geahndet wird, ist in jedem Land unterschiedlich geregelt. Die deutsche Gesetzgebung orientiert sich an den Vorgaben der Vereinten Nationen, setzt jedoch eigene Schwerpunkte.
Welche Begriffe werden oft mit Menschenhandel verwechselt?
In öffentlichen Debatten wird der Begriff "Menschenhandel" oft fälschlicherweise für andere Phänomene verwendet. Forscher und Hilfsorganisationen warnen vor solchen Ungenauigkeiten und kritisieren, dass Politiker gezielt mit der „Bedrohung“ durch den Menschenhandel argumentieren, um restriktive Reformen im Bereich der Migrationskontrolle und Strafverfolgung zu rechtfertigen.Quelle
- Menschenschmuggel/Schleusung: Anders als Menschenhändler verdienen Schleuser nicht an der Ausbeutung der Betroffenen, sondern daran, Menschen „illegal“ über nationale Grenzen zu befördern. Während Menschenschmuggel laut Definition zwangsläufig mit einem "illegalen" Grenzübertritt der Betroffenen einhergeht, kann Menschenhandel auch innerhalb eines Landes erfolgen.Quelle
- Zwangsarbeit: Zwangsarbeit ist definiert als unfreiwillige Arbeit oder Dienstleistung, die unter Androhung einer Strafe ausgeübt wird. Sie ist kein Synonym für Menschenhandel, sondern eine Form von Ausbeutung, die – sofern sie mit einer Anwerbung der Betroffenen einhergeht – unter Menschenhandel fallen kann.Quelle
- Prostitution: Kriminalstatistiken zufolge werden viele mutmaßliche Betroffene von Menschenhandel in der Prostitution und anderen Bereichen der Sexindustrie ausgebeutet. Nicht jede Prostituierte aber ist Opfer von Menschenhandel – eine Gleichsetzung beider Begriffe ist daher irreführend.Quelle
- (Schwere) Arbeitsausbeutung: Arbeitsausbeutung geht nicht zwangsläufig mit Zwang und einer Rekrutierung der Betroffenen einher. Eine Gleichsetzung mit "Menschenhandel" ist daher nicht zulässig.Quelle
Wie ist die Rechtslage bezüglich Menschenhandel in Deutschland?
Im Oktober 2016 wurde die Gesetzeslage zum Menschenhandel grundlegend reformiert. Seitdem regelt nur noch ein Paragraf die Strafbarkeit von Menschenhandel – zuvor waren es drei Paragrafen. Gemäß § 232 Strafgesetzbuch macht sich jemand wegen Menschenhandels strafbar, wenn er eine Person "anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt", um
- die Person auszubeuten – sei es in der Prostitution, auf dem Arbeitsmarkt, beim Betteln oder bei der Begehung von Straftaten,
- die Person "in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft" zu halten oder
- der Person rechtswidrig ein Organ zu entnehmen.Quelle
Der Straftatbestand ist jedoch nur erfüllt, wenn
- der Täter eine persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage des Opfers ausnutzt,
- der Täter eine Hilflosigkeit des Opfers ausnutzt, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist – Experten sprechen von einer "auslandsspezifischen" Hilflosigkeit, oder wenn
- das Opfer unter 21 Jahre alt ist.Quelle
Wie viele Menschen sind von Menschenhandel betroffen?
Zum Ausmaß des Menschenhandels gibt es weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene zuverlässige Zahlen. Alle Angaben beruhen auf unsicheren Quellen oder beziehen sich auf andere Phänomene, wie zum Beispiel Zwangsarbeit, die fälschlicherweise mit Menschenhandel gleichgesetzt werden.Quelle
- Kriminalstatistiken erfassen ausschließlich diejenigen Fälle, die ein polizeiliches Ermittlungsverfahren nach sich gezogen haben. Sie geben somit keinen Aufschluss darüber, wie viele dieser Fälle vor Gericht nachgewiesen wurden und wie viele Betroffene es gibt, die nicht von der Polizei identifiziert wurden. Zudem spiegeln sie nicht die Bandbreite des Phänomens, sondern in erster Linie die Arbeitsschwerpunkte der ermittelnden Behörden wider.
- Politiker und zivilgesellschaftliche Akteure weisen oft auf eine hohe "Dunkelziffer" hin und fordern Maßnahmen zur Eindämmung des Problems. Forscher warnen vor solchen Mutmaßungen, da sie häufig zur Legitimation anderer politischer Ziele genutzt werden. So begründen Staaten Verschärfungen im Bereich der Migrationspolitik und Kriminalitätsbekämpfung zum Teil mit dem Vorwand, Menschen effektiver vor der "Bedrohung" durch den Menschenhandel schützen zu wollen.Quelle
- Auch wissenschaftliche Studien lassen nur bedingt Aussagen über das Ausmaß zu, da sie häufig mit unterschiedlichen Definitionen von Menschenhandel arbeiten und auf einzelne Branchen beschränkt bleiben.Quelle
Die Zahl der polizeibekannten Fälle für Deutschland geht aus dem "Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung" hervor, das jährlich vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlicht wird. Das Lagebild erfasst jedoch nicht nur Fälle von Menschenhandel gemäß § 232 StGB, sondern auch andere Formen von Ausbeutung – wie zum Beispiel Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution. Zudem liefert es nur Zahlen zu Betroffenen, die im Rahmen abgeschlossener Ermittlungsverfahren identifiziert wurden.
Das aktuellste Lagebild liegt für das Jahr 2018 vor. Damals registrierte die Polizei insgesamt 503 Opfer. Rund 86 Prozent von ihnen waren von sexueller Ausbeutung betroffen, rund 13 Prozent von Arbeitsausbeutung. Die anderen Betroffenen wurden beim Betteln oder bei der Begehung von Straftaten ausgebeutet.Quelle
In welchen Branchen wurde Menschenhandel aufgedeckt?
Die meisten Fälle, zu denen 2018 Ermittlungsverfahren abgeschlossen wurden, betrafen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Weitere Branchen, in denen Menschen ausgebeutet wurden, waren das Baugewerbe, die Gastronomie und Privathaushalte. Die Zahlen sind jedoch nur bedingt aussagekräftig, weil sie nicht nur Fälle von Menschenhandel beinhalten, sondern auch andere Formen von Ausbeutung – zum Beispiel Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution. Zudem spiegeln sie laut Fachleuten in erster Linie die Schwerpunkte der polizeilichen Ermittlungsarbeit wider.Quelle
Führt die Legalisierung von Prostitution zu mehr Menschenhandel?
Zur Frage, ob das deutsche Prostitutionsgesetz Menschenhandel befördert hat, gibt es keine belastbaren Daten. Im Gegenteil weisen mehrere Studien darauf hin, dass die rechtliche und soziale Gleichstellung von Prostituierten Ausbeutung und Menschenhandel vorbeugen kann, die Kriminalisierung von Prostitution dagegen nachteilige Auswirkungen für die betroffenen Frauen hat.Quelle
Dennoch taucht das Argument immer wieder in öffentlichen Debatten auf. So fordern einige Politiker und Frauenorganisationen die Abschaffung von Prostitution oder die Bestrafung von Freiern mit dem Argument, dass die Legalisierung von Sexarbeit Menschenhandel Vorschub geleistet habe. Wissenschaftler und NGOs kritisieren diese Vorschläge und warnen davor, Menschenhandel für politische und moralische Zwecke zu missbrauchen.Quelle
2017 trat das "Prostituiertenschutzgesetz" in Kraft. Es soll unter anderem dazu beitragen, Opfer von Menschenhandel und Zwangsprositution besser erkennen zu können. Ob das Gesetz bereits Wirkung erzielen konnte, kann laut Bundeskriminalamt noch nicht beurteilt werden.Quelle
Aus welchen Ländern kommen die Betroffenen von Menschenhandel?
Von den Betroffenen sexueller Ausbeutung, die 2018 identifiziert wurden, waren die meisten deutsche Staatsangehörige (rund 18 Prozent), gefolgt von bulgarischen, rumänischen (beide rund 15 Prozent) und nigerianischen Staatsangehörigen (rund 14 Prozent). Die identifizierten Betroffenen von Arbeitsausbeutung kamen größtenteils aus der Ukraine (rund 43 Prozent). Die Zahlen sind allerdings nur bedingt aussagekräftig. Denn in der Statistik werden nicht nur Fälle von Menschenhandel erfasst, sondern auch andere Formen von Ausbeutung – zum Beispiel Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution. Zudem sind nur Fälle erfasst, zu denen im Jahr 2018 Ermittlungsverfahren abgeschlossen wurden.Quelle
Anders als oftmals angenommen, werden nicht alle Betroffenen von Menschenhandel zur Ausreise gezwungen. Viele von ihnen verlassen ihr Land freiwillig in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. Wissenschaftler und NGOs kritisieren daher politische Maßnahmen zur Kontrolle von Migration, die nicht – wie vorgegeben – zur Bekämpfung von Menschenhandel beitragen, sondern die Situation der Betroffenen verschlechtern.Quelle
Flüchtlinge als Betroffene von Menschenhandel
Eine Befragung von Opferberatungsstellen aus dem Jahr 2017 zeigt: Die Zahl der Betroffenen von Menschenhandel, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, ist in den vergangenen zwei Jahren gestiegen. Die meisten von ihnen kommen aus westafrikanischen Ländern und wurden während der Flucht ausgebeutet. Erkenntnisse zu Betroffenen aus anderen Herkunftsländern liegen bislang nicht vor. Beratungsstellen gehen jedoch davon aus, dass es eine hohe "Dunkelziffer" geben könnte.Quelle
Welche Aufenthaltsrechte bekommen Betroffene von Menschenhandel?
Personen, die von Behörden als Betroffene von Menschenhandel identifiziert werden, steht grundsätzlich die Chance auf ein Aufenthaltsrecht zu. Betroffene aus einem EU-Land dürfen sich gemäß § 2 des Freizügigkeitsgesetzes in Deutschland aufhalten und eine Beschäftigung aufnehmen. Für Opfer aus Drittstaaten gelten die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes: Nach ihrer Identifizierung durch die Behörden erhalten sie eine dreimonatige Bedenk- und Stabilisierungsfrist, in der sie nicht abgeschoben werden dürfen (§ 59 Abs. 7 AufenthG). In diesem Zeitraum können sie entscheiden, ob sie mit den Behörden zusammenarbeiten möchten und bereit sind, im Strafverfahren gegen die Täter auszusagen. Entscheiden sie sich für eine Zeugenaussage, so wird ihnen eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Strafverfahrens gewährt (§ 25 Abs. 4a AufenthG). Entscheiden sie sich dagegen oder ist der Prozess abgeschlossen, müssen sie ausreisen oder werden abgeschoben.
Seit 2015 gibt es die Möglichkeit, den Aufenthaltstitel über das Strafverfahren hinaus zu verlängern. Voraussetzung: Der weitere Aufenthalt des Opfers muss aus humanitären oder persönlichen Gründen oder aus öffentlichem Interesse erforderlich sein.Quelle
Experten des "Deutschen Instituts für Menschenrechte" kritisieren, dass das Aufenthaltsrecht der Betroffenen weitestgehend an ihre Kooperation im Strafverfahren gekoppelt ist. Denn in der Praxis erklärten sich nur wenige Betroffene bereit oder seien in der Lage, mit den Behörden zu kooperieren. Viele befürchteten, aufgrund ihrer Aussage erneut verfolgt oder für eigene Straftaten (zum Beispiel illegaler Aufenthalt) belangt und abgeschoben zu werden. Das spiegelt sich auch in der Statistik wider: Laut dem "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" lebten Ende 2016 nur rund 67 Personen mit einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4a AufenthG in Deutschland. Im selben Jahr wurden jedoch über 500 Opfer von Menschenhandel registriert.Quelle
Um Betroffene von Menschenhandel zu schützen, fordern internationale Organisationen und Menschenrechtler, ihnen ein Bleiberecht zu gewähren, das unabhängig ist von ihrer Aussage, und ihren Schutz von strafrechtlichen Interessen zu entkoppeln.Quelle
Wer sind die Täter von Menschenhandel?
Internationale Analysen zeigen, dass die Mehrheit der ermittelten Täter*innen aus dem näheren Umfeld der Opfer stammt. Nur in Ausnahmefällen agieren sie in großen internationalen Organisationen.Quelle
Im Bereich der sexuellen Ausbeutung registrierte die Polizei 2018 insgesamt 552 Tatverdächtige. Rund drei Viertel von ihnen waren Männer. Die meisten Tatverdächtigen waren deutsche Staatsangehörige (rund 21 Prozent), gefolgt von Bulgar*innen (rund 19 Prozent) und Rumän*innen (rund 13 Prozent). Im Bereich der Arbeitsausbeutung wurden 30 Tatverdächtige ermittelt. Die Aussagekraft der Zahlen ist jedoch beschränkt, denn die Statistik erfasst nicht nur Menschenhandel, sondern auch andere Formen von Ausbeutung. Zudem sind nur diejenigen Fälle abgebildet, zu denen im Jahr 2018 ein Ermittlungsverfahren abgeschlossen wurde.Quelle
Welche Gewinne erzielen die Täter von Menschenhandel?
Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung schätzt die Gewinne auf weltweit 32 Milliarden US-Dollar im Jahr. Diese Zahl beruht jedoch auf bloßen Schätzungen und bezieht sich nicht allein auf Menschenhandel, sondern auch auf Menschenschmuggel.Quelle
News Zum Thema: Menschenhandel
Neue Rubrik Menschenhandel – unter Zwang ausgebeutet
Am 18. Oktober ist der EU-weite Tag gegen Menschenhandel. Neben illegalen Drogen- und Waffengeschäften stellt diese schwere Form der Ausbeutung eines der größten international organisierten Verbrechen dar. Dabei handelt es sich nicht immer um verschleppte Menschen. "Menschenhandel" bezeichnet Situationen, in denen Menschen getäuscht, erpresst, bedroht oder anders dazu genötigt werden, unter prekären Bedingungen zu arbeiten. Kriminalstatistiken zufolge sind die meisten Betroffenen Migranten. Zahlen und Fakten zum Thema finden Sie in unserer neuen Rubrik "MENSCHENHANDEL".