Corona-Pandemie und Migration
Die Corona-Pandemie wirkt sich massiv auf Migrationsbewegungen aus. Deutschland hat - wie viele andere Länder auch - weitreichende Einreisebeschränkungen veranlasst. Zugleich ist COVID-19 in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete eine besondere Gefahr. Denn dort leben viele Menschen auf engem Raum. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Corona anzustecken, ist laut Fachleuten hoch. Der MEDIENDIENST hat wichtige Informationen zum Themenkomplex Corona-Pandemie und Migration zusammengetragen.
Corona-Pandemie: Wer darf nach Deutschland einreisen?
Was gilt für deutsche Staatsangehörige?
Für deutsche Staatsangehörige gelten keine Einreisebeschränkungen. Wie alle Einreisende nach Deutschland müssen sie nach ihrer Ankunft jedoch in Quarantäne, wenn sie aus einem Risikogebiet einreisen. Je nach Bundesland gibt es Ausnahmen für Personen, die nur zur Durchreise einreisen oder die innerhalb von 48 Stunden negativ auf das Coronavirus getestet wurden.Quelle
Was gilt für ausländische Staatsangehörige?
Einreisen aus einem EU-Land:
Aus einem EU-Land, dem Schengenraum und aus Großbritannien kann man ungehindert nach Deutschland einreisen. Bestimmte Regionen Europas, in denen ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 besteht, gelten jedoch als "Risikogebiete". Falls Personen aus diesen Gebieten kommen, müssen sie in Quarantäne.Quelle
Einreisen aus Drittstaaten:
Seit Anfang Juli dürfen Menschen aus Drittstaaten "mit geringem Infektionsgeschehen" ohne Einschränkungen wieder nach Deutschland einreisen. Zur Liste dieser Staaten gehören: Australien, Kanada, Neuseeland, Thailand und Uruguay (Stand: 8.10.2020). Aus anderen Drittstaaten dürfen nur Personen einreisen, die ihren Wohnort in Deutschland haben, sowie ihre Angehörige.
Ausnahmen gibt es außerdem für folgende Personengruppen:
- Ärzt*innen und Pflegepersonal,
- qualifizierte Fachkräfte in notwendigen Wirtschaftsbereichen,
- Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft,
- Personal im Gütertransport,
- Seeleute,
- Studierende (wenn sie ihr Studium nicht im Ausland durchführen können),
- Ausländer*innen, die zu Kindern, Eltern oder Ehepartnern in Deutschland ziehen beziehungsweise aus dringenden familiären Gründen ihre Angehörigen besuchen müssen,
- unverheiratete ausländische Partner, wenn es sich um eine längerfristige Beziehung/Partnerschaft handelt und beide Partner sich zuvor mindestens ein Mal in Deutschland persönlich getroffen haben,
- Diplomat*innen,
- Personal internationaler Organisationen,
- militärisches Personal,
- Spätaussiedler*innen.
Touristische Reisen von Drittstaatsangehörigen sind grundsätzlich nicht erlaubt.Quelle
Die Visavergabe orientiert sich an den geltenden Einreisebeschränkungen. Nur Personen, die zu den Ausnahmefällen gehören, können derzeit ein Visum beantragen. Zudem arbeiten viele deutsche Konsulate nur im Notbetrieb. Mit der schrittweisen Aufhebung der Reisebeschränkungen ab dem 30. Juni soll auch die Visavergabe wieder aufgenommen werden. Die EU-Kommission hat hierfür Leitlinien vorgelegt.Quelle
Was gilt für Schutzsuchende?
Keine Schutzsuchenden werden an den deutschen Grenzen abgewiesen, erklärte der Sprecher des Bundesinnenministeriums Ende März. Bei allen werde individuell geprüft, ob Gesundheitsvorsorgemaßnahmen nötig sind. Wenn das der Fall ist, kann die Einreise untersagt werden. Die Aufnahme von Geflüchteten im Rahmen der "Resettlement"-Verfahren liegt jedoch weiterhin auf Eis. Die Bundesregierung hatte die humanitären Aufnahmeprogramme Mitte März bis auf Weiteres ausgesetzt.Quelle
Asylanträge können Schutzsuchende derzeit in der Regel nur schriftlich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellen. Anhörungen im Asylverfahren finden vereinzelt statt. Ab dem 15. Juni nimmt das BAMF sogenannte Dublin-Überstellungen wieder auf, die Mitte März vorübergehend ausgesetzt wurden. Asylsuchende können dann wieder in die EU-Länder geschickt werden, in denen sie die Europäische Union betreten haben.Quelle
Insgesamt schaffen es im Moment nur sehr wenige Geflüchtete in die Europäische Union. Schutzsuchende sind zwar prinzipiell von den Einreisebeschränkungen ausgenommen, die die Staats- und Regierungschefs der EU am 18. März eingeführt haben. Die Zahl der Flüchtlinge, die über die Grenzen gelangen, ging aber im Vergleich zum letzten Jahr stark zurück. Im Mai 2020 sind laut Angaben des UN-Flüchtlingswerks knapp 3.300 Asylsuchende in die Europäische Union eingereist, 2019 waren es im gleichen Monat etwa doppelt so viele (Stand: 17. Juni).Quelle
Folgen der Pandemie für ausländische Arbeitskräfte
Bei Migrant*innen und Geflüchteten stieg die Arbeitslosigkeit während der Corona-Pandemie besonders stark. Im Mai 2020 lag die Arbeitslosenquote von Geflüchteten bei knapp 40 Prozent, fünf Prozent mehr als im März.
Expert*innen vermuten, dass Migrant*innen und Geflüchtete besonders von den wirtschaftlichen Folgen betroffen sein dürften. Ein Grund: Sie arbeiten häufiger in Branchen, in denen sich die Krise besonders stark auswirkt, zum Beispiel in Hotels oder in der Gastronomie. Mehr Informationen haben wir in einem Artikel zusammengestellt.Quellen
Weniger ausländische Arbeitskräfte reisen ein
Von März bis Juni 2020 konnten viele ausländische Beschäftigte wegen der Reisebeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie nicht nach Deutschland einreisen. Das stellte die Landwirtschaft vor große Probleme. Auch auf dem Bau und in der Pflege fehlten besonders viele ausländische Arbeitskräfte.
"Es findet im Moment wohl nahezu keine Migration mehr statt", sagte Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im April dem MEDIENDIENST. "Wir haben zwar noch keine aktuellen Wanderungsstatistiken, aber der Rückgang bei Flügen und im Personenverkehr zeigt einen klaren Trend." Brücker rechnete damit, dass im ersten Halbjahr 2020 mehr Menschen das Land verlassen als neu hinzukommen. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2019 gab es eine Nettoeinwanderung von rund 150.000.
Wo fehlen die Arbeitskräfte?
Einige Branchen sind besonders stark davon betroffen, dass weniger Menschen einwandern. Drei Beispiele:
- die häusliche Altenpflege (Schätzungen zufolge arbeiten jedes Jahr zwischen 300.000 und 500.000, meist polnische, Pflegekräfte aus dem Ausland in deutschen Privathaushalten).
- die Landwirtschaft (laut Branchenangaben arbeiten dort jährlich rund 300.000 Saisonarbeitskräfte, überwiegend aus Osteuropa).
- auf Baustellen (dort arbeiten rund 100.000 entsendete Arbeitnehmer*innen im Jahr, vorwiegend aus Osteuropa).
In einem Artikel haben wir Statements zu den Problemen in diesen Bereichen während der Corona-Zeit zusammengestellt.
Ansteckungsgefahr in Flüchtlingsunterkünften
Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete gelten als besonders gefährliche Infektionsherde. Eine Untersuchung der Universität Bielefeld unter knapp 10.000 Geflüchteten von 42 Gemeinschaftsunterkünften konnte zum Stichtag 22. Mai 2020 rund 1.800 bestätigten Infektionsfälle feststellen.Quelle
In Sammelunterbringungen für Geflüchtete sind Abstand-Maßnahmen zumeist nicht oder nur bedingt umsetzbar: Mehrbettzimmer und gemeinschaftliche Nutzung von Küchen und Sanitäranlagen können die Verbreitung des Virus begünstigen.
Allein in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer leben mehr als 40.000 Menschen(Stand Ende März). Hinzu kommt eine noch größere Zahl von Geflüchteten, die in Gemeinschaftsunterkünften leben. Wie viele es genau sind, wird von den Bundesländern in der Regel nicht erfasst. Denn für die Anschlussunterbringung sind Landkreise und Kommunen zuständig. Während in Bayern beispielsweise etwa 6.600 Menschen in sogenannten Anker-Zentren leben, leben mehr als 58.000 Personen in Anschlussunterbringungen mit mehr als zehn Bewohner*innen.
Anhand der verfügbaren Daten zu Empfänger*innen von Asylbewerberleistungen lässt sich sagen: Mehr als die Hälfte aller Leistungsempfänger*innen lebte Ende 2018 in Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften.Quelle
Maßnahmen der Bundesländer
Alle Bundesländer haben Maßnahmen ergriffen, um die Verbreitung des Virus in den Flüchtlingsheimen zu verhindern. Das zeigte eine Umfrage des MEDIENDIENSTES bei den zuständigen Ministerien Ende März 2020. So werden alle neu ankommenden Asylbewerber*innen auf eine Covid-19-Infektion getestet. In allen Bundesländern erhalten Bewohner*innen zudem in mehreren Sprachen Informationen darüber, wie man eine Ansteckung vorbeugen kann. Und in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz werden Neuankömmlinge getrennt von anderen Schutzsuchenden untergebracht.
Die Forscher*innen der Universität Bielefeld haben festgestellt, dass in etwa 70 Prozent der untersuchten Einrichtungen, in denen Infektionen gemeldet wurden, alle Bewohner*innen unter Quarantäne gestellt wurden – unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ auf das Virus getestet wurden. In diesen Einrichtungen war auch die Ansteckungsgefahr am höchsten. "Kollektivquarantäne" sei deshalb zu vermeiden – sagen die Forscher*innen. Eine "coronaschutzkonforme" Unterbringung sollte hingegen möglichst dezentral erfolgen, heißt es in der Studie.Quelle
Welche mehrsprachigen Informationsangebote gibt es zu Corona?
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung stellt alle fremdsprachigen Informationen der Bundesregierung zu Corona – darunter Beschlüsse der Bundesregierung und der Bundesländer – zusammen. Ergänzend steht ein Flyer in 19 Sprachen zur Verfügung.
Beim Handbook Germany gibt es Informationen zum Virus und zum Krankheitsverlauf in sechs Sprachen. Zudem informiert die Seite über Arbeitsrecht, unter anderem über Kurzarbeit und Home Office. Die Informationen werden unter anderem vom Robert-Koch-Institut und dem Bundesarbeitsministerium übernommen und laufend aktualisiert.
Ähnliche Informationen stellt der Verein "Ethno-Medizinisches Zentrum" in vierzehn Sprachen bereit. Der Fokus liegt auf praktischen Hinweisen: Was tun, wenn man zu einer infizierten Person Kontakt hatte? Wie soll man sich in Quarantäne verhalten? Wie kann man sich am besten schützen?
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat Tipps zur Hygiene auf Türkisch, Arabisch, Persisch, Englisch, Russisch und Französisch zusammengestellt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund informiert Arbeiter*innen in sieben Sprachen über ihre Rechte, etwa wenn sie gekündigt werden. Auch eine Hotline ist für Arbeitnehmer*innen aus EU-Staaten auf mehreren Sprachen erreichbar.
Beim Berufsverband Österreichischer PsychologInnen gibt es Hinweise, wie man gut durch häusliche Isolation und Quarantäne kommt. Praktischen Tipps in dreizehn Sprachen sollen in der belastenden Situation helfen.
Welche Informationen gibt es für Geflüchtete?
Ein kurzes Informationsblatt für Geflüchtete hat die Johanniter Unfallhilfe in dreizehn Sprachen übersetzt. Darin werden Fragen dazu beantwortet, was zu tun ist, wenn man mit einer infizierten Person in Kontakt stand.
Viele Flüchtlingsräte stellen Informationen für Geflüchtete bereit, etwa zur Lage in den jeweiligen Bundesländern und zur Auswirkung der Pandemie auf das Asylverfahren. Der Berliner Flüchtlingsrat hat zum Beispiel eine Übersicht erstellt, wie die Behörden, die am Asylverfahren beteiligt sind, erreichbar sind und welche Änderungen im Verfahren zu erwarten sind. Auch das BAMF informiert auf mehreren Sprachen darüber, wie sich die Pandemie unter anderem auf die Bearbeitung von Asylverfahren auswirkt.
Beim WDR gibt es Nachrichten für Geflüchtete zu Corona, unter anderem auf Arabisch und Farsi.
Wie ist die Situation von irregulären Migrantinnen und Migranten?
Irreguläre Migrant*innen sind in Deutschland von der Krankenversicherung ausgeschlossen. Jedoch übernehmen Krankenkassen rückwirkend zum 14. Mai die Kosten für einen COVID-19-Test für nicht versicherte Personen, wenn der Test etwa vom Gesundheitsamt veranlasst wurde. Ob eine Behandlung übernommen wird, ist unklar. Bisher gibt es dazu keine offizielle Aussage von Behörden. Grundsätzlich müssen nicht versicherte Menschen in Notfällen behandelt werden. Das Medibüro Berlin schätzt, dass daher keine Krankenversicherung nötig ist, wenn sich Irreguläre bei einem schweren Krankheitsverlauf medizinisch behandeln lassen möchten.Quelle
Grundsätzlich steht irregulären Migrant*innen beziehungsweise Menschen ohne Papiere zwar laut Asylbewerberleistungsgesetz eine Gesundheitsversorgung zu, sie können sie jedoch meist nicht in Anspruch nehmen. Denn für "Sans Papier" gilt eine Meldepflicht aller Behörden. Das heißt: Beantragt eine Person ohne legalen Aufenthaltsstatus beim Sozialamt eine medizinische Leistung, werden ihre Daten an die Ausländerbehörde weitergegeben. Viele Irreguläre vermeiden es deswegen, zum Arzt zu gehen.Quelle
Nur in Notfällen müssen sich irreguläre Migrant*innen nicht ans Sozialamt wenden. Das übernimmt das medizinische Personal beziehungsweise das Krankenhaus für sie. Dann unterliegt das Sozialamt dem verlängerten Geheimnisschutz. Das heißt, es darf die Daten nicht an die Ausländerbehörde weiterleiten. Doch auch hier gibt es Probleme, unter anderem da die Anforderungen für eine Kostenübernahme hoch sind. Manche Krankenhäuser behandeln Irreguläre deswegen auch in Notfällen nicht.Quelle
Karitative Einrichtungen wie der Malteser Hilfsdienst bieten medizinische Versorgung für irreguläre Migrant*innen und Menschen ohne Krankenversicherung an. Hier behandeln Ärzte unter Wahrung der Anonymität. Sogenannte Medibüros oder Medinetze helfen bei der Organisation von Operationen oder vermitteln Patient*innen an Ärzt*innen.Quelle
Menschenrechtsorganisationen fordern den sogenannten anonymen Krankenschein. Dabei werden Behandlungsscheine von einer unabhängigen medizinischen Stelle vergeben. In Berlin können Menschen ohne Papiere seit April 2020 solche Scheine bei einer Clearingstelle erhalten. Berlin ist damit das erste Bundesland, in dem Menschen ohne Papiere zu allen Hausärzt*innen gehen können. In Thüringen läuft derzeit ein Pilotprojekt, das von einem Verein betreut wird. In Niedersachsen wurde ein dreijähriges Pilotprojekt nicht verlängert.
Zahlen
Daten zu Menschen ohne Papiere sind schwer zu erheben. Das gilt auch für ihre gesundheitliche Situation. Es fehlen bundesweite Statistiken sowie Studien, die Ergebnisse einzelner lokaler Untersuchungen zusammentragen. Lokale Studien zeigen: Die subjektive Gesundheit sowie die Versorgungslage von Menschen ohne Papiere sind deutlich schlechter als im Bevölkerungsdurchschnitt. Zudem bestünden häufig Wissenslücken bei Krankenhäusern und Gesundheitsämtern, was die Versorgung von Menschen ohne Papiere erschwere.Quelle
News Zum Thema: Corona-Pandemie
Covid-19 in Flüchtlingsunterkünften Zahl der Infizierten höher als vermutet
Die Zahl der Covid-19-Patienten in Flüchtlingsunterkünften ist deutlich höher als bisher angenommen. Das zeigt eine Recherche des MEDIENDIENSTES. Demnach sind 250 Menschen in Unterkünften der Bundesländer betroffen.
Psychologische Versorgung Gibt es genug Therapieplätze für Geflüchtete?
Viele Geflüchtete leiden unter psychischen Belastungen. Doch nur wenige finden einen Therapieplatz. Die schlechte Versorgungslage hat sich in den letzten Jahren nicht verbessert, sagen Fachleute. Der MEDIENDIENST hat die wichtigsten Informationen zusammengetragen.
Unbegleitete Minderjährige Fragen und Antworten zur "Altersfeststellung"
Eine tödliche Messerattacke im rheinland-pfälzischen Kandel löste eine Debatte über die "Altersfeststellung" bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus. Seitdem steht der Vorwurf im Raum, das bisherige Vorgehen sei nicht zuverlässig und viele Geflüchtete machten sich jünger als sie sind. Einige Politiker fordern flächendeckende medizinische Alterstests. Wie sinnvoll ist das? Und wie ist die Alterseinschätzung bei jungen Geflüchteten derzeit geregelt?