Mehrsprachigkeit und Deutschkenntnisse
In der Integrationsdebatte hört man oft die Forderung nach "besseren" Deutschkenntnissen bei Migrantinnen und Migranten sowie ihren Nachkommen. Allerdings wissen wir gar nicht, wie hoch der Sprachförderbedarf tatsächlich ist: Die Daten- und Forschungslage ist uneinheitlich und lückenhaft. So sind die Diskussionen eher von Annahmen geprägt als von Fakten. Hinzu kommt: Mehrsprachigkeit wird nur selten als das gewürdigt, was sie ist: eine zusätzliche Qualifikation.
Wie wichtig ist frühkindliche Sprachförderung?
Seit Mitte der 90er Jahre befasst sich die Forschung intensiv mit der Bedeutung der frühkindlichen Sprachbildung. Dominant ist dabei die Auffassung, dass die Förderung sprachlicher Kompetenzen vor der Schule grundlegend für den Bildungserfolg sei. Auch politisch ist die vorherrschende Meinung, Kinder müssten bereits vor dem Schuleintritt gefördert werden, wenn in der Familie kaum Deutsch gesprochen wird.
Umgesetzt wird das bisher sehr unterschiedlich: Die Aus- und Fortbildung pädagogischer Fachkräfte, die Tests zur Feststellung der Sprachkompetenz und des Förderbedarfs sowie die Angebote zur Verbesserung der Deutschkenntnisse weichen je nach Bundesland stark voneinander ab. Zudem fehlt es in vielen dieser Bereiche an empirischen Daten und Untersuchungen – der Forschungsbedarf ist groß.Quelle
Oft wird übersehen, dass der frühkindliche Ansatz umstritten ist: Wichtiger finden es einige Fachleute, dass das System Schule in den Fokus rückt und verbessert wird. Demnach müssten institutionelle und strukturelle Diskriminierungen abgebaut werden.
Wie gut sprechen Kinder mit Migrationshintergrund Deutsch?
Dass Kinder aus Einwandererfamilien, die mehrsprachig aufwachsen, ein erhöhtes Risiko für sprachliche Defizite haben, ist ein Mythos – erklären zum Beispiel Fachleute vom Zentrum "Sprache, Variation und Migration" (SVM) in einem Interview.
Die Ergebnisse der ersten PISA-Studie von 2001 stellten jedoch einen Zusammenhang zwischen Sprachproblemen in der Schule und einer mangelnden Sprachförderung im Vorschulalter her. In den Bundesländern wurden deshalb verstärkt Maßnahmen zur Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen eingeführt.
Sprachstandserhebung vor der Schule
Derzeit werden in 14 Bundesländern 17 verschiedene Testverfahren angewandt, um die Sprachkenntnisse und den Förderbedarf von Kindern im Vorschulalter festzustellen. Auch der Migrationshintergrund wird sehr unterschiedlich definiert. Demnach können über den Sprachstand und Förderbedarf keine bundesweiten Aussagen getroffen werden, wie beispielsweise das Integrationsmonitoring der Länder feststellt. Seit Langem wird deshalb gefordert, die sogenannten Sprachstandstests bundesweit zu vereinheitlichen.Quelle
Sprachniveu in der Schule
Auch zu den Deutschkenntnissen und dem Förderbedarf von Schülern fehlen bundesweit vergleichbare Daten. Anhaltspunkte können die Ergebnisse einer Elternbefragung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) von 2009 bieten. Den Eltern zufolge hatten rund 39 Prozent der Drei- bis Siebenjährigen, die mit zwei Sprachen aufwachsen, einen Sprachförderbedarf. Bei den Kindern derselben Altersgruppe ohne Migrationshintergrund war er mit 21 Prozent ebenfalls hoch. Quelle
Welche Sprachen sprechen Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause?
46 Wissenschaftler*innen haben in einer Erklärung klargestellt: "Zweisprachigkeit ist – auch schon im frühesten Kindesalter – unproblematisch und kann unter guten Bedingungen sogar positive Effekte auf die gesamte kognitive Entwicklung haben." Dennoch werden in vielen Debatten oft Studien zitiert, die untersucht haben, wie viele Kinder zu Hause nicht Deutsch sprechen.
Die internationale Grundschulvergleichsstudie IGLU, die im Dezember 2017 veröffentlicht wurde, kommt zum Ergebnis: Der Anteil der befragten Viertklässler, die zu Hause immer oder fast immer Deutsch sprechen, liegt bei 83,4 Prozent. Im Vergleich: 2011 waren es 80,4 Prozent.Quelle
Einer Auswertung der PISA-Studie 2015 für Deutschland zufolge sprechen 61 Prozent der getesteten 15-jährigen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zu Hause Deutsch. Bei Schülerinnen und Schülern aus türkischen Einwandererfamilien traf dies bei 46 Prozent zu. Schüler*innen, deren Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion kommen, sprachen zu 57 Prozent in der Familie Deutsch.Quelle
Ähnliche Zahlen lieferte 2016 ein Forschungsprojekt zum herkunftssprachlichen Sprachunterricht in Hamburg. In 64 Prozent der befragten Familien wurde (auch) Deutsch gesprochen. Die Ergebnisse des Projekts sind für Hamburg repräsentativ, könnten aber auf die Situation in westdeutschen Großstädten und Berlin übertragen werden. Quelle
Wo gibt es herkunftssprachlicher Unterricht?
Im Schuljahr 2019/2020 gab es in vierzehn Bundesländern sogenannten herkunftssprachlichen Unterricht. Das geht aus einer Recherche des MEDIENDIENSTES hervor. Im herkunftssprachlichen Unterricht können Schüler*innen ihre Familiensprache lernen oder vertiefen. Er wird entweder von den Bundesländern oder den jeweiligen Konsulaten angeboten.
- Zwölf Bundesländer haben im Schuljahr 2019/2020 eigenen herkunftssprachlichen Unterricht angeboten. Nordrhein-Westfalen hat das breiteste Angebot mit Unterricht in 23 Sprachen, darauf folgen Rheinland-Pfalz und Sachsen mit je siebzehn Sprachen.
- In neun Bundesländern organisieren Konsulate Unterricht. In Baden-Württemberg und Bayern gibt es nur Konsulatsunterricht und kein staatliches Angebot.
- In Thüringen und Sachsen-Anhalt gibt es keine Form von herkunftssprachlichem Unterricht.
Immer weniger Schüler*innen nehmen am Konsulatsunterricht teil. Zugleich bauen einige Bundesländer ihr Angebot an herkunftssprachlichem Unterricht aus. Ein Grund dafür ist die Kritik, insbesondere am türkischen Konsulatsunterricht, ideologischen Einfluss auf die Schülerinnen und Schüler zu nehmen. So hat etwa das Saarland den Konsulatsunterricht 2019 an öffentlichen Schulen abgeschafft.Quelle
Der Konsulatsunterricht geht auf einen Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1964 und eine Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften zurück. Dahinter stand die Überlegung, Kinder auf die Rückkehr in das Heimatland ihrer Eltern vorzubereiten. Der Konsulatsunterricht hat sich seitdem kaum verändert: Der Unterricht wird von den Konsulaten oder Botschaften organisiert und finanziert. Neben der Sprache werden auch Inhalte zu Land und Kultur vermittelt. Für den Unterricht nutzen die Konsulate Räumlichkeiten von Schulen, ein Großteil des herkunftssprachlichen Unterrichts wird an Grundschulen durchgeführt. In manchen Bundesländern beteiligen sich die Ministerien oder Schulaufsichtsbehörden an den Lehrplänen und kontrollieren den Unterricht, andere Bundesländer überlassen den Unterricht vollständig den Konsulaten.Quelle
Mehrsprachigkeit an Schulen
Fachleute gehen davon aus, dass weltweit zwischen 50 und 75 Prozent der Menschen zwei- oder mehrsprachig sind. Damit stellt Mehrsprachigkeit keine Ausnahme dar. Zunehmende Mobilität und Migration verstärken diesen Trend. Der Umgang mit Mehrsprachigkeit ist jedoch von Land zu Land sehr unterschiedlich.Quelle
Über die Sprachenvielfalt in Deutschland weiß man nur wenig, offizielle Statistiken dazu gibt es nicht. De facto gewinnt sie aber immer mehr an Bedeutung, nicht zuletzt wegen der Sprachen, die Einwanderer*innen seit den 1960er Jahren "mitgebracht" haben.
Darüber hinaus gibt es sieben offiziell anerkannte und geschützte regionale Minderheitensprachen. Auffallend ist jedoch, dass die Herkunftssprachen der Einwanderer*innen gesellschaftlich und politisch in der Regel weitaus weniger anerkannt sind und gefördert werden als die offiziellen Minderheitensprachen oder die "klassischen" Fremdsprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch oder Latein.
Auch wenn im wissenschaftlichen Diskurs weitestgehende Einigkeit darüber herrscht, dass es Kinder nicht grundsätzlich überfordert, von Anfang an zwei Sprachen zu lernen: Es wird immer wieder diskutiert, wie konkret mit der Mehrsprachigkeit von Kindern mit sogenanntem Migrationshintergrund umgegangen werden soll.
In der sogenannten Bilingualismus-Debatte stehen sich zwei Lager gegenüber: Das größere bewertet die Zweisprachigkeit von Einwandererkindern positiv. Die Förderung der Muttersprache erweitere ihre kognitiven Fähigkeiten und helfe, besser Deutsch zu lernen. Das andere Lager widerspricht dem und plädiert dafür, dass die Kinder zunächst Deutsch lernen und vor allem die Deutschkenntnisse gefördert werden sollten. Dem entspricht die bisher gängige Praxis an Kindertagesstätten und Schulen.
Wie gut sprechen Menschen mit Migrationshintergund Deutsch?
Diese Frage kann nicht einfach beantwortet werden. Über die Deutschkenntnisse von erwachsenen Migranten gibt es keine belastbaren Daten, die vorliegenden Untersuchungen beruhen zudem auf Selbsteinschätzungen.
Anhaltspunkte bietet unter anderem die IAB-SOEP-Migrationsstichprobe, für die 5.000 Menschen befragt wurden, die nach 1995 nach Deutschland gekommen oder als Nachkommen von Einwanderern in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Bei dieser Stichprobe gilt es zu berücksichtigen: Drei Viertel der Befragten sind im Ausland geboren.
- Demnach gaben zum Zeitpunkt der Umfrage (2013) 12 Prozent der Teilnehmer an, dass sie bereits gut oder sehr gut Deutsch konnten, als sie nach Deutschland gezogen sind.
- Von denjenigen, die bereits mehr als zehn Jahre in Deutschland leben, schätzten 63 Prozent ihre Deutschkenntnisse als gut oder sehr gut ein.
- Insgesamt gaben 61 Prozent der Einwanderer an, aktiv Deutsch gelernt zu haben: rund 11 Prozent haben Deutschkurse in ihren Heimatländern besucht und 44 Prozent haben Kurse in Deutschland belegt.Quelle
Was sind Integrationskurse?
Integrationskurse sind Kurse, die Deutschkenntnisse und Informationen zum deutschen Rechtssystem sowie zur Geschichte vermitteln sollen. Sie wurden 2005 eingeführt und bestehen aus einem Sprachkurs und einem Orientierungskurs:
- Der Sprachkurs soll Kenntnisse bis zum Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) für Sprachen vermitteln. Der Kurs umfasst in der Regel 600 Unterrichtseinheiten und schließt mit dem "Deutsch-Test für Zuwanderer" (DTZ) ab.
- Der Orientierungskurs behandelt die Themen Rechtsordnung, Geschichte und Kultur. Er umfasst 100 Unterrichtseinheiten und schließt mit dem Test "Leben in Deutschland" ab.
Manche Integrationskurse sind auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet. Unter anderem gibt es Alphabetisierungskurse und Kurse für Frauen.Quelle
Der Mediendienst Integration hat wichtige Informationen zu den Integrationskursen in einem Factsheet zusammengestellt.
Wer darf an Integrationskursen teilnehmen?
Berechtigt zur Teilnahme sind Ausländerinnen und Ausländer, die bereits länger in Deutschland leben, sowie anerkannte Geflüchtete. Menschen aus EU-Staaten und deutsche Staatsangehörige können eine freiwillige Teilnahme beantragen, haben aber keinen Anspruch auf die Kurse. Das gilt auch für Asylsuchende mit "guter Bleibeperspektive" und Asylsuchende mit sogenannter schlechter Bleibeperspektive, die vor dem 1. August 2019 eingereist sind. Personen aus sicheren Herkunftsstaaten haben keinen Zugang zu den Kursen. Personen können auch zur Teilnahme am Integrationskurs verpflichtet werden, unter anderem wenn sie nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.Quelle
Wie viele Personen nehmen an den Kursen teil?
Die Statistik zu Integrationskursen erfasst, wie viele Menschen einen Kurs in einem Jahr begonnen haben. 2019 waren das mehr als 176.000 Personen. Die Zahl ist seit 2016 rückläufig. Zuvor war sie durch den Zuzug von Geflüchteten gestiegen: von rund 180.000 Teilnehmenden im Jahr 2015 auf rund 340.000 im Jahr 2016.Quelle
Woher kommen die Teilnehmenden?
2019 kam mehr als ein Viertel der neuen Teilnehmenden aus EU-Staaten. Rund 14 Prozent waren Syrerinnen und Syrer. Jeweils etwa fünf Prozent kamen aus Afghanistan und der Türkei, vier Prozent aus dem Irak. Die Zusammensetzung der Kurse hat sich in den letzten Jahren stark verändert: 2014 kam knapp die Hälfte der neuen Teilnehmenden aus EU-Staaten, 2016 hatten rund zwei Drittel der Teilnehmenden einen Fluchthintergrund. Zuletzt ist der Anteil von EU-Bürger*innen an den Teilnehmenden wieder angestiegen.Quelle
Wie viele legen den "Deutsch-Test für Zuwanderer" ab?
2019 haben rund 195.000 Personen einen "Deutsch-Test für Zuwanderer" abgelegt:
- 50,6 Prozent erreichten dabei das Niveau B1 ("ausreichende Deutschkenntnisse") des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER),
- 31,5 Prozent das Niveau A2 ("hinreichende Deutschkenntnisse"),
- 17,9 Prozent lagen darunter. Quelle
In den letzten Jahren ist der Anteil der Personen gesunken, die den Test mit B1 abgeschlossen haben. Erreichten 2019 knapp die Hälfe das Niveau B1, waren es 2015 noch rund 70 Prozent. Das sei vor allem auf die neue Zusammensetzung der Kursteilnehmenden zurückzuführen, teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem MEDIENDIENST 2018 auf Anfrage mit. Mehr Personen mit Fluchthintergrund nehmen an den Kursen teil. Sie verfügen unter anderem häufig über eine höhere Sprachdistanz und müssen teilweise zunächst die lateinische Schrift lernen. Zudem lernen sie unter erschwerten Bedingungen: Die Trennung von der Familie oder die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften kann sich negativ auf dem Deutscherwerb auswirken, so das BAMF in einem Forschungsbericht. Fachleute kritisieren, dass sich die Integrationskurse nicht ausreichend an die unterschiedlichen Bedürfnisse der neuen Kursteilnehmenden angepasst hätten. Unter anderem seien die Lerngruppen zu groß.Quelle
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Schule Wie verbreitet ist herkunftssprachlicher Unterricht?
Die Bundesländer bauen eigene Angebote zum herkunftssprachlichen Unterricht weiter aus. Gleichzeitig besuchen weniger Schüler*innen den Konsulatsunterricht als in den Jahren zuvor. Das zeigt eine Recherche des MEDIENDIENSTES.
Zahlen für 2019 Wie entwickeln sich die Integrationskurse?
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Factsheet Fragen und Antworten zu Integrationskursen
Der MEDIENDIENST hat wichtige Fragen und Antworten zu den Integrationskursen in einem Factsheet zusammengefasst: Wer darf an den Kursen teilnehmen? Was sind die Gründe dafür, dass viele Teilnehmende den Sprachtest am Ende des Kurses nicht bestehen? Was bemängeln Fachleute?