Judentum
Die jüdische Minderheit in Deutschland ist vielfältig: Sowohl ethnisch als auch kulturell und religiös. Nach der Schoa lebten nur noch wenige Juden in Deutschland. In 1990er Jahren wuchsen die Gemeinden durch den Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, von rund 30.000 auf über 100.000 Mitglieder.
Jüdische Bevölkerung in Deutschland
Die jüdische Gesamtbevölkerung in Deutschland wird auf etwa 225.000 Personen geschätzt. Nach Frankreich und Großbritannien handelt es sich damit um die drittgrößte Community in Europa. Diese Zahl beinhaltet alle Menschen, die in der weitesten Definition als Juden gelten.Quelle
Laut der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland (ZWST) waren 2018 bundesweit mehr als 96.000 Mitglieder in 104 jüdischen Gemeinden organisiert. Hinzu kommen 27 Gemeinden mit rund 5.300 Mitgliedern, die der "Union progressiver Juden in Deutschland" angehören. Das geht aus einem Online-Dossier der "Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland" hervor.Quelle
Seit 2007 ist die Mitgliederzahl leicht rückläufig. Zur Entwicklung in den liberal-progressiven Gemeinden liegen keine Daten vor. Das liegt unter anderem daran, dass kaum noch Juden aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion einwandern. Ein weiterer Grund ist der demographische Wandel: Rund 48 Prozent der Gemeindemitglieder waren 2018 über 60 Jahre alt.Quelle
Die größten Gemeinden befinden sich in Berlin, München und Frankfurt.Quelle
Zentralrat der Juden und andere Organisationen
Eine einheitliche jüdische Organisation wurde erst kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 mit dem "Zentralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau" gegründet. Ihr erster Präsident war der Rabbiner Leo Baeck. 1950 formierte sich der "Zentralrat der Juden in Deutschland" (ZJD).Quelle
Der Zentralrat ist neben den großen christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Dieser Status ist mit besonderen Privilegien verbunden. Im Zentralrat sind verschiedene Gemeinden organisiert, deren Ausrichtung von streng orthodoxen, reformorientierten und konservativen bis zu liberalen Gemeinden reicht. Der Zentralrat hat den Anspruch, die religiösen Interessen aller Juden in Deutschland zu vertreten.
Neben dem Zentralrat hat sich 1997 die "Union progressiver Juden" (UPJ) gegründet, die ebenfalls eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Sie vereint liberale und progressive Gemeinden. Darüber hinaus ist in Deutschland die orthodoxe Organisation "Chabad Lubawitsch" aktiv.
Ausrichtungen im Judentum
Grundsätzlich unterscheidet man im Judentum zwischen drei Ausrichtungen: dem orthodoxen, dem progressiven (beziehungsweise liberalen oder reformorientierten) und dem konservativen Judentum. Der Hauptunterschied besteht in der Herangehensweise an die Quellen und ihrem Verständnis.
Im Verständnis des orthodoxen Judentums ist die Thora das direkt offenbarte Wort Gottes. Das progressive Judentum versteht die Offenbarung hingegen als von Gott ausgehenden, aber durch Menschen vermittelten und damit dynamischen und progressiven Prozess. Das konservative Judentum wiederum will die Traditionen bewahren, sieht Veränderungen aber als notwendig an – sofern sie mit den religiösen Gesetzen vereinbar sind.Quelle
Das liberale Judentum enstand vor allem im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts als Alternative zum orthodoxen Judentum. Bis zum Holocaust hatte es sich zur vorherrschenden Glaubensrichtung entwickelt. Nach dem 2. Weltkrieg gewann mit der Gründung des "Zentralrats der Juden in Deutschland" (ZDJ) das orthodoxe Judentum an Bedeutung und ist heute die einflussreichste Auslegung in der Bundesrepublik.
Durch die Unterstützung nicht-orthodoxer Weltverbände und die Einwanderung von Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion seit Beginn der 1990er Jahre steigt die Zahl nicht-orthodoxer Gemeinden wieder. Diese werden vor allem durch die 1997 gegründete "Union progressiver Juden in Deutschland" (UPJ) vertreten.
Jüdische Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion
Zwischen 1993 und 2018 wanderten 209.134 Jüdinnen und Juden einschließlich ihrer Partner und Kinder aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland ein. Die meisten von ihnen waren sogenannte Kontingentflüchtlinge und zogen bis 2004 zu. Danach kamen immer weniger Jüdinnen und Juden aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach Deutschland, 2018 waren es rund 1.000 Personen.Quelle
Dass weniger Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion zuwandern, liegt unter anderem an einer Reform des Zuwanderungsgesetzes 2005. Im Gegensatz zu den 1990er Jahren benötigen potenzielle Einwandererinnen und Einwanderer heute Deutschkenntnisse und eine positive "Integrationsprognose". Zudem müssen Antragstellende nachweisen, dass sie in eine jüdische Gemeinde aufgenommen werden können.Quelle
Bis 2004 konnten Jüdinnen und Juden aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion als "Kontingentflüchtlinge" leichter einwandern als andere Migrantinnen und Migranten. Russischsprachiger Jüdinnen und Juden zogen ab 1990 zunächst in die DDR der Wendezeit und kamen ab 1991 in die Bundesrepublik. Festgelegte Kontingente gab es jedoch nicht.Quelle
Um einzuwandern, mussten Jüdinnen und Juden in den deutschen Botschaften in ihren Herkunftsländern um Einreiseerlaubnis ersuchen. Dafür mussten sie ihre jüdische Identität nachweisen. Die deutschen Vertretungen richteten sich nach dem Hinweis "Volkszugehörigkeit" in sowjetischen Geburtsurkunden und Pässen. Es spielte keine Rolle, ob jemand gläubig oder Gemeindemitglied war. Lagen entsprechende Nachweise vor, wurden die Anträge grundsätzlich bewilligt. Die Einwandererinnen und Einwanderer bekamen eine unbefristete Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis.Quelle
News Zum Thema: Judentum
Medien-Tour "Jüdisches Leben" Wachsende Sorge vor Antisemitismus
Welche Erfahrungen machen Juden mit Antisemitismus? Wie gehen sie damit um? Und welche interreligiösen Projekte gibt es? Diesen Fragen ging eine Medien-Tour des MEDIENDIENSTES in Frankfurt nach. Die wichtigsten Erkenntnisse: Viele Juden haben Sorge vor zunehmenden Anfeindungen. Gleichzeitig öffnen sich jüdische Gemeinden und Vereine immer stärker nach außen.
Gastkommentar „Importierter“ oder „integrierter“ Antisemitismus?
Ist der Antisemitismus auf deutschen Straßen von Einwanderern importiert? Oder knüpfen die jüngsten Ausbrüche bei Anti-Israel Protesten an einer heimischen Sorte des Antisemitismus an? Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung hat über Jahre die "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Deutschland untersucht. Hier zeigte sich: Gravierende Unterschiede zwischen antisemitischen Vorurteilen bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund finden sich nicht.
Ein Jahr Beschneidungsgesetz Wie Juden und Muslime die Debatte erlebten
Vor einem Jahr verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Gesetz, das die Beschneidung von minderjährigen Jungen erlaubt. Der Regelung ging eine breite öffentliche Debatte voraus. Eine Studie der Oxford Universität hat die Auswirkungen der Diskussion um das religiöse Beschneidungsritual in Deutschland untersucht. Eines der Ergebnisse: Die Debatte wurde von Juden und Muslimen unterschiedlich wahrgenommen.