Islam und Muslime
Die Geschichte des Islam in Deutschland reicht über ein Jahrhundert zurück. Die meisten der heute bestehenden Moscheegemeinden und Dachverbände entstanden aber ab den 1970er Jahren. Damals kamen im Zuge der Anwerbung von "Gastarbeitern" Muslime aus der Türkei, Ex-Jugoslawien und dem Maghreb nach Deutschland. Seit den 1980er Jahren und in jüngster Zeit sind Geflüchtete aus Ländern wie Libanon, dem Iran, Afghanistan oder Syrien hinzugekommen. Anders als oft wahrgenommen sind jedoch nicht alle Menschen, die aus diesen Ländern kommen, (gläubige) Muslime.
Wie viele Muslime leben in Deutschland?
Die genaue Zahl der Muslim*innen lässt sich nur schwer bestimmen, da in Deutschland die Religionszugehörigkeit der Einwohner*innen nur in Ausnahmefällen erfasst wird. Eine Hochrechnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommt auf 4,4 bis 4,7 Millionen Muslim*innen (Stichtag: 31.12.2015), die in Deutschland leben. Das entspricht einem Anteil von 5,4 bis 5,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung von 82,2 Millionen Menschen.Quelle
Eine etwas höhere Schätzung hat das Pew Research Center veröffentlicht: 2016 lebten demzufolge 4,95 Millionen Muslim*innen in Deutschland. Das entspräche einem Bevölkerungsanteil von 6,1 Prozent.Quelle
In Umfragen schätzen viele Menschen die Zahl und den Bevölkerungsanteil der Muslim*innen an ihren Gesellschaften oft weitaus höher ein, als er tatsächlich ist. In Deutschland und Frankreich wird der Anteil der Muslim*innen an der Gesamtbevölkerung des eigenen Landes im Durchschnitt vier Mal höher eingeschätzt, als er in Wirklichkeit ist. In Polen und Ungarn wird der tatsächliche Anteil sogar um ein 70faches überschätzt. Quelle
Wie aussagekräftig sind die Zahlen des BAMF?
Die Berechnung des BAMF stützt sich auf Ergebnisse der Untersuchung "Muslimisches Leben in Deutschland" von 2009:
- In der Untersuchung waren 2008 rund 6.000 Menschen mit Migrationshintergrund aus Ländern mit "signifikant muslimischem Anteil" nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt worden.
- Dann wurde der Anteil derer, die sich als Muslim*innen bezeichnen, auf alle eingewanderten Menschen aus dem jeweiligen Land hochgerechnet. Grundlage dafür sind die Daten des Zensus 2011.
- Im dritten Schritt wurden alle Muslim*innen hinzugerechnet, die zwischen 2011 und 2015 eingewandert sind. Laut Daten zu Asylbewerber*innen und aus dem Ausländerzentralregister sind das rund 1,2 Millionen Menschen.
- Muslim*innen ohne Migrationshintergrund (z.B. Konvertit*innen) oder mit anderem Migrationshintergrund kommen in der Rechnung nicht vor. Kinder von Muslim*innen, die zwischen 2011 und 2015 in Deutschland geboren wurden, werden ebenfalls nicht mitgerechnet.
Die Wissenschaftler*innen haben diese Methode der Selbstbefragung gewählt, weil sie davon ausgehen, dass nicht alle Einwander*innen und ihre Nachkommen aus einem muslimisch geprägten Land auch tatsächlich selbst Muslim*innen sind. Beispielsweise bezeichnet nur die Hälfte der Menschen mit iranischem Migrationshintergrund sich als muslimisch. Über die Schwächen der statistischen Erfassung hat die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus 2013 eine Expertise für den MEDIENDIENST verfasst.Quelle
Konfessionen in Deutschland
Über 57 Prozent der Bevölkerung gehören einer christlichen Kirche an (rund 47,3 Millionen Menschen). Mehr als ein Drittel ist konfessionslos. Bei einem Vergleich (siehe Grafik) muss jedoch beachtet werden, dass die Zahl der Mitglieder von Kirchen und Gemeinden mit der geschätzten Gesamtzahl von Muslim*innen in Deutschland ins Verhältnis gesetzt wird.Quelle
Wie viele Musliminnen und Muslime leben in Europa?
In Europa leben laut Pew Research Center rund 25,77 Millionen Muslim*innen. Damit machen Menschen muslimischen Glaubens rund 4,9 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Im europäischen Vergleich steht Deutschland in absoluten Zahlen an zweiter Stelle. Hier leben 4,4 bis 4,7 Millionen Muslim*innen (laut BAMF) beziehungsweise 4,95 Millionen (laut Pew Research Center). Nur in Frankreich leben laut Pew Research Center mit rund 5,7 Millionen mehr Muslim*innen als in Deutschland.Quelle
Was den prozentualen Anteil von Muslim*innen an der Bevölkerung betrifft, liegt Deutschland im europäischen Mittelfeld. Musliminnen und Muslime haben hier einen Bevölkerungsanteil von 5,4 bis 5,7 Prozent laut BAMF beziehungsweise 6,1 Prozent laut Pew Research Center. Andere west- und nordeuropäische Einwanderungsländer wie Frankreich, Schweden, Belgien, die Niederlande, Österreich und Großbritannien weisen einen höheren Anteil von Muslim*innen an der Gesamtbevölkerung auf als Deutschland.Quelle
Den größten Anteil von Muslim*innen an der Bevölkerung weisen traditionell muslimisch geprägte europäische Länder auf:
- Kosovo (über 90 Prozent laut Pew)
- Albanien (über 80 Prozent laut Pew, rund 59 Prozent laut Zensus 2011)
- Bosnien und Herzegowina (rund 51 Prozent laut Zensus 2013, 45 Prozent laut Pew)Quelle
Gefolgt werden sie von Ländern, die aus historischen Gründen große muslimische Minderheiten aufweisen:
- Mazedonien (39,3 Prozent laut Pew)
- Zypern (rund 25 Prozent laut Pew für die gesamte Insel)
- Montenegro (18,7 Prozent laut Pew)
- Bulgarien (10 Prozent laut Zensus 2011 bis 14 Prozent laut Pew)Quelle
Steigt die Zahl der Muslime in Deutschland?
Einer Hochrechnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zufolge lebten Ende 2015 rund 4,4 bis 4,7 Millionen Muslime in Deutschland. Das entspräche einem Anteil von 5,4 bis 5,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Eine etwas höhere Schätzung hat das Pew Research Center veröffentlicht: 2016 lebten demzufolge 4,95 Millionen Muslime in Deutschland. Das entspräche einem Bevölkerungsanteil von 6,1 Prozent.Quelle
In einer Studie aus dem Jahr 2017 hat das Pew Research Center errechnet, dass sich die Zahl der Muslime in Deutschland bis zum Jahr 2050 auf sechs bis 8,5 Millionen erhöhen könnte. Gründe dafür seien eine weitere Einwanderung und eine – im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen – etwas höhere Geburtenrate. Der Anteil der Muslime an der deutschen Bevölkerung würde dann 8,7 bis 10,8 Prozent betragen. Expertinnen und Experten aus Deutschland halten diese Prognosen für realistisch. Das Pew Research Center geht auch davon aus, dass die Zahl der Muslime in Europa in den kommenden Jahren zunehmen wird.Quelle
Muslime in Deutschland nach Herkunft
Eine Schätzung des BAMF zeigt, dass die Zusammensetzung der Muslime in Deutschland vielfältiger geworden ist:
- Demnach hatten Ende 2015 rund 2,3 Millionen und damit rund die Hälfte (50,6 Prozent) der Muslime in Deutschland ihre Wurzeln in der Türkei (Zum Vergleich: 2011 lag ihr Anteil noch bei 67,5 Prozent).
- Muslime aus dem Nahen Osten stellen mit knapp 775.000 Personen mitllerweile die zweitgrößte Herkunftsgruppe (17,1 Prozent).
- An dritter Stelle folgen rund 520.000 Muslime aus südosteuropäischen Herkunftsländern (11,5 Prozent).Quelle
Welchen Glaubensrichtungen gehören Muslime in Deutschland an?
Für die repräsentative Untersuchung "Muslimisches Leben in Deutschland" (2009) wurden Muslime auch danach gefragt, welcher islamischen Glaubensrichtung sie sich zurechnen. Demnach bezeichnen sich fast drei Viertel als sunnitische Muslime. Rund 13 Prozent der Muslime in Deutschland rechnen sich den Aleviten zu, rund 7 Prozent den Schiiten.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppierungen sind mal mehr, mal weniger deutlich. Gruppen können sich beispielsweise überschneiden. So kann man einer Sufigemeinschaft angehören, die zugleich sunnitisch oder schiitisch ist.Quelle
Wie viele Moscheen gibt es in Deutschland?
Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 gibt es etwa 2.350 islamische Gebetsräume und Moscheen in Deutschland. Andere Schätzungen gehen von bis zu 2.750 Moscheen und Gebetsräumen aus. Dabei werden manchmal nur Moscheen und Gebetsräume gezählt, in denen Freitagspredigten gehalten werden, und manchmal auch alevitische Gemeinden mitgezählt, die ihre Gottesdienste („Cem“) in als „Cem-Evi“ bezeichneten Gemeindehäusern abhalten.Quelle
Die meisten islamischen Gemeinden in Deutschland betreiben ihre Gebetsräume in ehemaligen Fabriken, Wohnhäusern und Ladengeschäften. Diese Einrichtungen werden häufig als Hinterhofmoscheen bezeichnet. Darüber hinaus sind in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten viele neue Moscheebauten entstanden, die mit Minarett oft schon von außen als solche erkennbar sind.Quelle
Der Stil vieler dieser Moscheebauten lehnt sich an Bautraditionen aus den Herkunftsländern der Gemeindemitglieder an. Daneben entstanden aber auch einige innovative Moscheebauten, die sich in einer modernen Architektur um möglichst große Transparenz und Offenheit bemühen – so zum Beispiel das 2005 eröffnete „Islamische Forum“ im bayrischen Ort Penzberg mit einer Glasfassade und einem kunstvoll aus Stahlplatten gefertigten Minarett oder die DITIB-Zentralmoschee in Köln, die hauptsächlich vom Kirchenarchitekten Paul Böhm entworfen wurde.
Andere Moscheen lehnen sich an ortsübliche Baustile an – etwa die Moschee im schleswig-holsteinischen Rendsburg, die aus gelbem und weißem Backstein besteht und damit Elemente norddeutscher Backsteinarchitektur aufnimmt. Zudem gibt es immer mehr "Öko-Moscheen", die Photovoltaik-Anlagen auf ihrem Dach montiert haben, um eigenen Strom zu erzeugen. In Norderstedt errichtet eine türkisch-islamische Gemeinde derzeit eine Moschee mit zwei 21 Meter hohen Minaretten, die als kleine Windkraftanlagen dienen sollen.Quelle
Wie finanzieren sich Moscheen in Deutschland?
Islamische Organisationen erklären in der Regel, dass sie sich primär durch Mitgliedsbeiträge und Spenden von Moscheebesuchern finanzieren. Hinzu kommen Einkünfte durch Vermietungen und Dienstleistungen oder Erlöse aus dem Verkauf in vereinseigenen Läden, die zur Moschee gehören. Große islamische Dachverbände wie die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) erzielen durch die Organisation von Pilgerreisen oder durch ihre Buch- und Zeitschriftenverlage zusätzliche Einnahmen. Islamische Organisationen sind mehrheitlich als gemeinnützige Vereine eingetragen und deshalb verpflichtet, ihre Buchhaltung regelmäßig vorzulegen.Quelle
Finanzierung aus dem Ausland
Die Frage, ob und wie viel Geld aus dem Ausland an deutsche Moscheegemeinden fließt, sorgt immer wieder für Diskussionen. Verlässliche Zahlen dazu gibt es aber nicht. Bekannt ist, dass einzelne Moscheebauten in Deutschland durch größere Spenden aus dem Ausland ermöglicht wurden. So wurde die für ihre moderne Architektur bekannte Moschee im bayrischen Penzberg vom Emir des Golfstaats Schardscha bezahlt. Manche Moscheevorstände werben im Ausland, etwa am arabischen Golf, um größere Summen, um laufende Ausgaben oder Großprojekte wie einen Moscheebau finanzieren zu können. Aus einmaligen Spenden lassen sich jedoch noch keine generellen Rückschlüsse auf eine Einflussnahme aus dem Ausland ziehen, sagen Fachleute.Quelle
Es gibt aber auch indirekte Formen der Finanzierung aus dem Ausland. So zahlt beispielsweise die türkische Religionsbehörde Diyanet die Gehälter der Imame, die in den fast 1.000 DITIB-Moscheen in Deutschland predigen. Nahezu alle Gemeinden des türkisch-islamischen Dachverbands DITIB sowie einiger anderer Verbände nehmen die Dienste dieser Imame, die aus der Türkei entsandt und bezahlt werden, in Anspruch.Quelle
Viele Moscheegemeinden greifen auf eine dieser Formen der Unterstützung aus dem Ausland zurück, um ihre Imame und Seelsorger oder ihre Moscheebauten und ihren Koranunterricht zu finanzieren. Viele soziale Aufgaben wie Jugend- und Seniorenarbeit, Beratungstätigkeit und Flüchtlingshilfe werden von ehrenamtlichen Helfern übernommen.Quelle
Anders als Kirchen oder jüdische Gemeinden, werden Moscheegemeinden dabei bisher nicht finanziell vom Staat unterstützt.Quelle
Was spricht gegen eine "Moschee-Steuer"?
Immer wieder wird die Idee einer „Moschee-Steuer" ins Gespräch gebracht. Auf muslimischer Seite stießen solche Vorschläge bislang aber eher auf Skepsis. Manche argumentieren, eine zentral erhobene Steuer widerspreche sowohl dem muslimischen Selbstverständnis als auch der gegenwärtigen Organisationsform des Islams in Deutschland. Moscheegemeinden, die sich vom Druck zentralistisch geführter Dachverbände lösen wollen, fürchten außerdem Gängelung und Missmanagement durch die Zentralen, sollten diese über die Verwendung einer solchen „Moscheesteuer“ verfügen. Aber auch die großen islamischen Organisationen zeigen bisher wenig Interesse an einer „Moschee-Steuer“. Das gilt selbst für die der Ahmadiyya-Gemeinde, die etwa in Hessen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist und damit beanspruchen könnte, dass der Staat für sie ihre Mitgliedsbeiträge über eine Steuer einzieht.Quelle
Was ist die Deutsche Islam Konferenz?
Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) wurde 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen, um den Austausch zwischen dem deutschen Staat und Muslimen zu fördern. Erstmals kamen staatliche Vertreter mit verschiedenen islamischen Organisationen zusammen, um sich auf Bundesebene über eine gemeinsame Islampolitik zu verständigen.
Im Zentrum der DIK-Gespräche standen bislang unter anderem die Themen Religion und Verfassung, Geschlechtergerechtigkeit, Extremismusprävention und Wohlfahrtspflege. Arbeitsgruppen der DIK haben mehrere Studien in Auftrag gegeben. Dazu gehörten zum Beispiel die Untersuchungen „Muslimisches Leben in Deutschland“ (2009), "Lebenswelten junger Muslime" (2011) oder „Islamisches Gemeindeleben in Deutschland“ (2012), "Soziale Dienstleistungen in Moscheegemeinden" (2015) und "Altenpflege für Muslime" (2017).
An der aktuellen Phase der DIK nehmen zehn islamische Verbände teil. Zur öffentlichen Auftaktveranstaltung im November 2018 in Berlin wurden auch ausgewählte Einzelpersonen zur DIK eingeladen. In der aktuellen Form der DIK gibt es keine festen Gremien und Mitgliedschaften mehr, wie Innnenminister Horst Seehofer vorab erklärte. Dafür soll es weitere anlassbezogene Veranstaltungen geben. Aktuell stehen Fragen der Imam-Ausbildung und der Finanzierung der Moscheegemeinden sowie der Ausbau der Projektförderung im Fokus.Quelle
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland
In neun Bundesländer gibt es an öffentlichen Schulen einen islamischen Religionsunterricht. Das geht aus einer Recherche des MEDIENDIENSTES hervor. Dabei gibt es unterschiedliche Modelle:
- In Hessen und Niedersachsen wird ein bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetz Art. 7 Absatz 3 in Kooperation mit islamischen Verbänden angeboten. Die Lehrpläne werden dabei von den Religionsgemeinschaften und staatlichen Stellen gemeinsam entwickelt. In Hessen wird ab dem Schuljahr 2019/20 das Fach "Islamunterricht" in staatlicher Verantwortung ab der siebten Klasse erprobt. Im Schuljahr 2020/21 soll das Modellprojekt erweitert werden.Quelle
- In Berlin wird islamischer Religionsunterricht in alleiniger Verantwortung eines islamischen Landesverbands erteilt.
- Rheinland-Pfalz und das Saarland erproben islamischen Religionsunterricht in Modellprojekten. Islamische Verbände oder lokale Moscheegemeinden werden dabei auf unterschiedliche Weise einbezogen.
- In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wird islamischer Religionsunterricht in Zusammenarbeit mit islamischen Partnern angeboten. Nordrhein-Westfalen hat dafür 2019 eine Kommission eingerichtet, die aus Vertreter*innen islamischer Verbände bestehen soll. Welche Verbände eingebunden werden, hat das Schulministerium noch nicht bekanntgegeben (Stand: März 2020). In Baden-Württemberg wurde 2019 unter dem Dach des Landes eine Stiftung gegründet.Quelle
- In Bayern und Schleswig-Holstein wird das Fach "Islamkunde" in staatlicher Verantwortung angeboten.
In sieben Bundesländern gibt es keinen islamischen Religionsunterricht.
- In Hamburg und Bremen wird ein konfessionsübergreifender Religionsunterricht angeboten, an dem Schüler*innen aller Glaubensrichtungen teilnehmen können. In Hamburg verantwortet die evangelische Nordkirche den "Religionsunterricht für alle". Künftig will ihn das Land interreligiös – mit gleichberechtigter Beteiligung verschiedener Religionsgemeinschaften – ausrichten. Bremen bietet das Fach "Religion" in staatlicher Verantwortung an.
- In den fünf östlichen Bundesländern Thüringen, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gibt es kein Angebot für muslimische Schüler*innen. Als Alternative zum christlichen Religionsunterricht stehen dort Fächer wie Ethik, Lebenskunde oder Philosophie zur Auswahl.
In acht Bundesländern wird ein alevitischer Religionsunterricht angeboten.
Wie viele Schüler*innen nehmen am islamischen Religionsunterricht teil?
Im Schuljahr 2019/20 nehmen bundesweit knapp 60.000 Schüler*innen an über 900 Schulen am islamischen Religionsunterricht teil. Im Schuljahr 2015/16 waren es nach einer Auswertung der Kultusministerkonferenz noch rund 42.000 Schüler*innen gewesen.
Die Nachfrage nach islamischem Religionsunterricht ist damit bei weitem nicht gedeckt: Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) kam bereits 2011 zu dem Ergebnis, dass etwa 580.000 Schüler*innen im Alter von 6 bis 18 Jahren einen islamischen und etwa 70.000 Schüler*innen einen alevitischen Religionsunterricht besuchen würden.Quelle
Weitere Zahlen und Fakten bietet ein Informationspapier, das der MEDIENDIENST im Mai 2020 zusammengestellt hat. Darin finden Sie Informationen zu den Kooperationen der Bundesländer beim islamischen Religionsunterricht, zur Zukunft der befristeten Modellprojekte und Zahlen zum Religionsunterricht insgesamt.
An welchen Universitäten wird islamische Theologie gelehrt?
Bundesweit gibt es derzeit sechs Institute für islamische Theologie. Ein siebtes Institut befindet sich im Aufbau.
- Das Institut für Islamische Theologie (IIT) an der Universität Osnabrück.
- Das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) in Münster.
- Das Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) an der Eberhard Karls Universität in Tübingen.
- Das Zentrum für Islamische Studien (ZEFIS) an der Goethe-Universität in Frankfurt und der Justus-Liebig-Universität in Gießen.
- Das Department Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg.
- Das Institut für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Oktober 2019 startete dort der Studienbetrieb.
- Das islamische Seminar in Paderborn wird seit 2019 mit Bundesmitteln zu einem Institut für islamische Theologie ausgebaut.
An diesen Standorten werden Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet, aber auch Sozialarbeiter und Theologen für die Arbeit in Moscheen und islamischen Organisationen. An einigen Zentren entstehen außerdem Schulbücher für den islamischen Religionsunterricht. Seit dem Wintersemester 2016/17 sind mehr als 2.000 Studierende in Bachelor- und Master- sowie in Lehramts-Studiengängen eingeschrieben.Quelle
Die Zentren für Islamische Theologie an den staatlichen Universitäten in Osnabrück, Münster, Tübingen, Frankfurt / Gießen und Erlangen / Nürnberg wurden 2011 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtet. Das Institut für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin wurde 2018 auf Initiative des Berliner Senats und und mit Hilfe des Bundes 2018 eingerichtet. Neben diesen Zentren entstanden weitere islamische Lehrstühle an der Akademie der Weltreligionen (AWR) der Universität Hamburg und an der Universität Paderborn.
In Baden-Württemberg wurden zudem an drei pädagogischen Hochschulen (Karlsruhe, Ludwigsburg und Freiburg) Studiengänge für islamische Theologie und Religionspädagogik ins Leben gerufen. Sie dienen ebenfalls der Ausbildung des Lehrpersonals für den Islamischen Religionsunterricht.
An der Goethe-Universität Frankfurt am Main wurde zudem seit 2017 mit Bundesmitteln und Hilfe der Stiftung Mercator eine "Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft" (AIWG) eingerichtet. Sie soll die Standorte der islamischen Theologie miteinander vernetzen, gemeinsame Forschungsprojekte fördern und den Transfer in die Gesellschaft verstärken.
Für die sieben Zentren an staatlichen Hochschulen und die „Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft“ stellt das Bundesforschungsministerium nach eigenen Angaben von 2011 bis 2024 insgesamt rund 52,5 Millionen Euro zur Verfügung.Quelle
Die meisten Zentren für Islamische Theologie arbeiten mit Beiräten zusammen, in denen Vetreter islamischer Religionsgemeinschaften sitzen. Mit ihnen stimmen sie die Besetzung von Lehrstühlen oder die Erstellung von Studien- und Prüfungsordnungen ab. Die Besetzung dieser Beiräte war an mehreren Standorten umstritten.Quelle
Wie viele muslimische Frauen tragen ein Kopftuch?
Das Kopftuch ist in öffentlichen Debatten in Deutschland zu einem Symbol für den Islam geworden. Dabei trägt es nur eine Minderheit aller muslimischen Frauen in Deutschland, wie Studien zeigen:
- 28 Prozent der muslimischen Frauen in Deutschland tragen ein Kopftuch, eine überwiegende Mehrheit von 72 Prozent trägt kein Kopftuch. Zu diesem Ergebnis kam die Untersuchung "Muslimisches Leben in Deutschland", die 2009 veröffentlicht wurde.Quelle
- Unter den befragten Musliminnen über 16 Jahren gaben in einer vertiefenden Umfrage 70 Prozent an, nie ein Kopftuch zu tragen. 23 Prozent gaben an, immer ein Kopftuch zu tragen. Rund acht Prozent antworteten, sie trügen es „meistens“ oder „manchmal“.Quelle
- Bei türkeistämmigen muslimischen Frauen tragen laut einer repräsentative Befragung der Universität Münster 2016 rund 31 Prozent ein Kopftuch.Quelle
Wovon hängt ab, ob sich Frauen für ein Kopftuch entscheiden?
- Persönlicher Glaube: Wichtigster Faktor, sich für das Kopftuch zu entscheiden, ist laut der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" von 2009 der persönliche Glaube. 92,3 Prozent der Frauen, die ein Kopftuch tragen, betrachteten dies als ihre religiöse Pflicht. Zwang oder Erwartungen von anderen wurden nur selten als Motiv genannt (5,8 bis 6,7 Prozent). Mehrfachnennungen waren möglich. Von den stark gläubigen Musliminnen trägt jede Zweite immer, meistens oder manchmal ein Kopftuch.Quelle
- Alter und Migrationsgeschichte: Ältere Frauen tragen häufiger ein Kopftuch als jüngere Frauen und im Ausland geborene muslimische Frauen häufiger als muslimische Frauen, die in Deutschland geboren sind.Quelle
- Herkunftsland: Muslimische Frauen, die selbst oder deren Eltern aus der Türkei oder aus Nordafrika stammen, tragen häufiger ein Kopftuch als Frauen, die familiäre Bezüge nach Südosteuropa, Iran oder Zentralasien haben.Quelle
- Konfession: Fast jede dritte sunnitische Frau trägt ein Kopftuch. Bei der Minderheit der Ahmadiyya sind es sogar über die Hälfte (51 Prozent). Bei schiitischen Frauen sind es 21 Prozent. Alevitische Frauen tragen kein Kopftuch.Quelle
Neben dem Kopftuch oder Hijab gibt es andere Schleier und Gewänder im Islam: Die Burka ist ein weites Gewand, das Gesicht und Körper vollständig bedeckt. Zum Sehen gibt es feinmaschiges Gitter. Sie ist vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet. Der arabische Niqab ist ein Gesichtsschleier, der mit einem langen Gewand und einem Kopftuch kombiniert wird. Er lässt einen kleinen Seeschlitz frei. Burkas und Niqabs werden in häufig in Diskussionen um Verschleierungsverbote in Deutschland genannt. Der Tschador ist ein schwarzer bodenlanger Umhang, der vor allem im Iran getragen wird. Er umhüllt Kopf und Körper, das Gesicht ist frei. Der Chimar ist ein Schleier bis zur Taille, der in verschiedenen Farben getragen wird.Quelle
Wo ist das islamische Kopftuch in Deutschland verboten?
Im Staatsdienst:
Das Bundesverfassungsgericht hat 2015 ein generelles Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen für unzulässig erklärt, weil es dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit widerspreche. Alle Bundesländer bis auf Berlin lassen das Kopftuch für Lehrerinnen seither grundsätzlich zu. Nur bei einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens seien Einschränkungen erlaubt, urteilten die Richter in Karlsruhe.Quelle
In mehreren Bundesländern unterrichten heute vereinzelt Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen.Quelle
In Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gab es nie ein Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen und andere Beamtinnen. Andere Bundesländer haben seit 2015 ihre bis dahin geltenden Verbote für Lehrerinnen und andere Staatsbeamte geändert oder legen bestehende Gesetze nun verfassungskonform aus.
Nur das Bundesland Berlin hält an seinem strikten Kopftuch-Verbot fest. Dem 2005 erlassenen "Neutralitätsgesetz" zufolge dürfen Lehrkräfte keine "sichtbaren religiösen und weltanschaulichen Symbole" wie das Kopftuch tragen. Dieses Verbot gilt auch für Beamtinnen und Beamte in der Rechtspflege, dem Justizvollzug und der Polizei. Es gilt aber nicht für den Religions- und Ethikunterricht sowie für private Schulen und Berufsschulen.Quelle
Für den Justizbereich gibt es in den Bundesländern Hessen, Bremen, Baden-Württemberg und Bayern gesetzliche Einschränkungen. Richterinnen, Staatsanwältinnen und Referendarinnen dürfen demnach bei ihren Amtshandlungen im Gerichtssaal kein Kopftuch tragen. Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und das Saarland planen ähnliche gesetzliche Regelungen.
Pläne, auch Kindern an öffentlichen Schulen das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten, hat die nordrhein-westfälische Landesregierung 2018 ins Spiel gebracht, aber dann ad acta gelegt. Wie viele Mädchen in Nordrhein-Westfalen ein Kopftuch tragen, ist ihr nicht bekannt.Quelle
In der Privatwirtschaft:
Private Arbeitgeber, die ihren Angestellten verbieten, am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, verstoßen gegen das Allgemeine Antidiskriminierungsgesetz. Gleiches gilt, wenn sie Bewerberinnen einen Ausbildungsplatz oder eine Stelle verwehren, weil sie ein Kopftuch tragen. Ein Kopftuch-Verbot am Arbeitsplatz aus sachlichen Gründen – etwa, wenn die Arbeit mit Maschinen durch das Tragen eines Kopftuchs zu gefährlich ist – ist aber zulässig.
Arbeitgeber dürfen außerdem das Kopftuch am Arbeitsplatz verbieten, wenn sie zugleich das sichtbare Tragen jedes anderen politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbieten. Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil von 2017 klargestellt, dass Arbeitgeber das Recht haben, nach außen hin neutral aufzutreten und entsprechend von ihren Beschäftigten ein neutrales Auftreten einzufordern. Das gilt aber nur für Tätigkeiten, die im weiteren Sinne für das Unternehmen repräsentativ sind.Quelle
In kirchlichen Einrichtungen:
Für kirchliche Einrichtungen gelten erhebliche Ausnahmen vom übrigen Arbeitsrecht. Sie dürfen ihren Mitarbeiterinnen deshalb ebenfalls das Tragen eines Kopftuchs untersagen. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt 2014 entschieden.Quelle
News Zum Thema: Islam und Muslime
"Der Islam gehört zu Deutschland" Was sich seit dem Satz geändert hat
"Der Islam gehört zu Deutschland", sagte der damalige Bundespräsident Christian Wulff am Tag der Deutschen Einheit vor zehn Jahren. Was hat sich seitdem getan? Darüber diskutierten Fachleute bei einem Online-Pressegespräch des MEDIENDIENSTES.
Islam Was hat sich bei der rechtlichen Anerkennung getan?
Wie steht es um die rechtliche Anerkennung des Islams in Deutschland? In einer Expertise für den MEDIENDIENST zeigt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus: 2010 und in den Folgejahren ist viel geschehen. Seit 2016 stagnieren Verhandlungen zwischen Bundesländern und islamischen Gemeinden jedoch.
Niqab Wo ist die Verschleierung verboten?
In Baden-Württemberg dürfen Schülerinnen künftig nicht mehr mit Vollverschleierung in die Schule gehen. Das beschloss die Landesregierung am Dienstag. Wo ist es untersagt, Niqabs zu tragen? Und welche Folgen haben Verbote? Der MEDIENDIENST hat eine Übersicht erstellt.