Rechtsextremismus
Die Gefahr durch Rechtsextremismus in Deutschland ist hoch. Das zeigen unter anderem die jüngsten Anschläge in Kassel, Halle und Hanau. Zu einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild gehört laut Fachleuten die Ablehnung von ethnischen und religiösen Minderheiten. Zu verstehen, was Rechtsextremismus ausmacht und wie er sich äußert, ist in der Einwanderungsgesellschaft daher wichtig.
Was ist Rechtsextremismus?
Rechtsextremismus – als Sammelbegriff – beschreibt neofaschistische, demokratie- und verfassungsfeindliche Ideologien. Eine Definition bietet die Website des Projekts "Mut gegen rechte Gewalt", ein Projekt des Stern-Magazins und der Amadeu Antonio Stiftung.Quelle
Oft wird Rechtsextremismus mit Rechtsradikalismus gleichgesetzt. Die Begriffe beschreiben jedoch zwei unterschiedliche Phänomene: Während Rechtsextremismus verfassungsfeindlich ist, bewegt sich Rechtsradikalismus im Rahmen der Verfassung – wenn auch oft an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit.Quelle
Der Politikwissenschaftler Richard Stöss unterscheidet bei Rechtsextremismus zwischen Einstellungen und Verhalten. Das rechtsextremistische Einstellungspotenzial sei "wesentlich größer" als das Verhaltenspotenzial, da vergleichsweise wenige Menschen politisch aktiv seien und entsprechend handeln.Quelle
Rechtsextremistische Einstellungen äußern sich etwa im Bejahen von
- Nationalismus,
- antisemitischen Grundhaltungen,
- diktatorischen Herrschaftsformen (Autoritarismus),
- der Ablehnung ethnischer und religiöser Minderheiten
- und der Verharmlosung des Nationalsozialismus.Quelle
Wie verbreitet sind rechtsextremistische Einstellungen in der Gesellschaft?
Die "Mitte"-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019 zeigt: 2,4 Prozent der Bevölkerung vertreten eine "ausgeprägte rechtsextreme Einstellung". Vor zehn Jahren waren es noch rund acht Prozent. "Ausgeprägt rechtsextrem" eingestellt ist den Autor*innen zufolge, wer allen sechs unten genannten "Dimensionen" zustimmt (Befürwortung einer Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Nationalsozialismus). Die Ergebnisse im Einzelnen:
- Mehr als drei Prozent der Bevölkerung befürworten eine rechtsgerichtete Diktatur.
- Knapp 13 Prozent vertreten einen nationalen Chauvinismus, also ein übersteigertes Nationalgefühl.
- "Ausländerfeindlichkeit" findet bei knapp neun Prozent "ganz eindeutige" Zustimmung.
- Rund zwei Prozent vertreten Auffassungen des Sozialdarwinismus', der offen rassistisch ist.
- Mehr als drei Prozent neigen "ganz deutlich" zum klassischen Antisemitismus.
- Über zwei Prozent verharmlosen offen den Nationalsozialismus.
Durchaus großen Zuspruch erhielten einzelne Aussagen, die auf rechtsextremistische Einstellungen hindeuten. So stimmen etwa 39 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu "Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben". Knapp ein Fünftel ist der Auffassung "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert." Rund 19 Prozent vertreten die Ansicht, Ausländer*innen kämen "nur hierher, um den Sozialstaat auszunutzen".Quelle
Laut einer Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2018 ist der Anteil derjenigen, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten, seit 2002 deutlich zurückgegangen: von 9,7 Prozent auf 6 Prozent im Jahr 2018.Quelle
Wie viele Rechtsextreme gibt es in Deutschland?
2019 gab es laut Verfassungsschutzbericht 32.080 Rechtsextremist*innen in Deutschland. Die Zahl der Rechtsextremist*innen hat sich damit im Vergeich zum Vorjahr um ein Drittel erhöht. Der Anstieg ist laut Fachleuten vor allem darauf zurückzuführen, dass der Bericht die Mitglieder des AfD-"Flügels" als Rechtsextreme einstuft. Von den erfassten Rechtsextremist*innen gelten 13.000 gewaltorientiert. 65 Rechtsextreme stuft das Bundesinnenministerium laut Medienberichten als "Gefährder" ein (Stand: Juni 2020).Quelle
Der Verfassungsschutzbericht enthält auch Angaben darüber, wie sich Rechtsextreme organisieren – ob sie also beispielsweise Parteien angehören:
- 2019 waren demnach 13.330 Rechtsextremist*innen in Parteien organisiert.
- 6.600 gehörten parteiunabhängigen Strukturen an – zum Beispiel der "Identitären Bewegung" oder sogenannten Kameradschaften.
- 13.500 Rechtsextremist*innen konnten keiner Organisation zugerechnet werden.Quelle
Fahndungen nach Rechtsextremen
Im Herbst 2019 fahndete die Polizei bundesweit nach 482 Personen, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden. 105 von ihnen wurden gesucht, weil sie eine politische Straftat begangen hatten. Bei 42 der gesuchten Personen gehen die Behörden davon aus, dass sie sich im Ausland aufhalten.Quelle
Rechtsextremistische Straftaten und Gewalttaten
2019 wurden laut Verfassungsschutzbericht 21.290 rechtsextremistisch motivierte Straftaten registriert – das entspricht mehr als der Hälfte aller Straftaten im Bereich der "politisch motivierten Kriminalität" (PMK). 986 Straftaten waren Gewalttaten. Dazu zählen unter anderem Körperverletzung, Brandstiftung, Landfriedensbruch und Tötungsdelikte.Quelle
Laut einer Studie des Center for Research on Extremism der Universität Oslo verzeichnete Deutschland 2019 im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten die höchste Zahl an rechtsextremen Gewalttaten. Die absoluten Zahlen weichen wegen einer anderen Zählweise etwas von den Zahlen im Verfassungsschutzbericht ab.Quelle
Rechte Straftaten gegen Medien
Für den Zeitraum Anfang 2015 bis März 2020 zählt das "European Centre for Press & Media Freedom" 119 tätliche Angriffe auf Medienschaffende. Mit 77 Prozent ging die Mehrheit der Angriffe auf rechte Tatverdächtige zurück. Letzteres zeigt auch eine Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2020, die in Zusammenarbeit mit dem MEDIENDIENST entstanden ist: Von den befragten Journalist*innen, die 2019 angegriffen wurden, vermuten 82 Prozent, dass die Angreifer*innen aus dem politisch rechten Milieu stammen.Quelle
Rechte Tötungsdelikte
Laut Verfassungsschutzbericht gab es 2019 sieben versuchte oder vollendete rechts motivierte Tötungsdelikte.Quelle
Seit 1990 sind laut Recherchen der "Amadeu Antonio Stiftung" mindestens 208 Menschen in Folge rechter Gewalt ums Leben gekommen. Das "Center for Research on Extremism" der Universität Oslo zählt seit 1990 121 rechtsextreme Tötungen. Die Zahl der offiziell anerkannten Opfer liegt deutlich darunter: Die Bundesregierung zählt lediglich 86 Todesfälle seit 1990 (Stand: November 2019).Quelle
Rechter Terror
Welche rechtsterroristischen Gruppen gibt es in Deutschland? Wie gefährlich sind sie? Und welchen Einfluss hatte der NSU auf die Szene? Einen Überblick gibt der Forscher Matthias Quent in einer Expertise für den Mediendienst (Stand: Juni 2019).Quelle
Chronik rechtsextremistischer Anschläge
Bei vielen rechtsextremistischen Straftaten sind in den vergangenen Jahren Menschen ums Leben gekommen. Oft stuften Sicherheitsbehörden die Delikte zunächst nicht als rechtsextremistisch ein. In einigen Fällen ermittelten sie sogar jahrelang in die falsche Richtung. Das habe das Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigt, kritisieren Fachleute.Quelle
Die folgende Chronik führt rechtsextremistische Anschläge seit dem Jahr 2010 auf, bei denen Menschen gestorben sind. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Am 19. Februar 2020 tötet ein Rechtsextremist neun Menschen in Hanau. Anschließend erschießt er seine Mutter und sich selbst. Bis auf die Mutter hatten alle Opfer einen sogenannten Migrationshintergrund.Quelle
- Am 9. Oktober 2019, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur, erschießt ein Rechtsextremist zwei Menschen in Halle (Saale). Sein ursprünglicher Plan, in eine Synagoge einzudringen, scheitert. Der Gerichtsprozess gegen den Attentäter läuft.Quelle
- Am 2. Juni 2019 wird der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) vor seinem Haus erschossen. 2015 hatte sich der Politiker bei einer Veranstaltung für die Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen – und war danach massiv von Rechten angefeindet worden. Der mutmaßliche Täter, ein Rechtsextremist, gestand die Tat, hat das Geständnis aber inzwischen widerrufen. Der Prozess gegen ihn und einen mutmaßlichen Unterstützer läuft. Stephan E. wird auch vorgeworfen, 2016 versucht zu haben, einen irakischen Flüchtling umzubringen.Quelle
- In der Nacht zum 18. April 2018 prügeln drei Rechtsextremisten einen Mann in Aue (Sachsen) zu Tode. Zuvor hatten sie ihn wegen seiner Homosexualität gedemütigt. Die Täter werden zu Haftstrafen zwischen elf und 14 Jahren verurteilt. Laut Gericht ist das Motiv der Täter unklar. Die Bundesregierung hingegen bezeichnet die Tat als rechtsextremistisch.Quelle
- Am 1. März 2017 setzt eine Frau in Döbeln (Sachsen) ihr Nachbarhaus in Brand. Sie will damit einem Geflüchteten aus dem Iran schaden, der kurz zuvor eingezogen war. Bei dem Brand kommt eine 85-jährige Frau ums Leben. Die Täterin wird zu neun Jahren Haft verurteilt.Quelle
- Am 19. Oktober 2016 schießt ein sogenannter Reichsbürger in Georgensgmünd (Bayern) auf vier Polizisten. Einer der Beamten stirbt einen Tag später an seinen Verletzungen. Der Täter erhält eine lebenslange Freiheitsstrafe.Quelle
- Am 17. September 2016 verprügelt der Leiter einer Berliner Supermarkt-Filiale einen Obdachlosen aus Moldawien. Der Mann hatte versucht, Alkohol zu stehlen. Drei Tage später erliegt das Opfer seinen Verletzungen. Der Täter hatte die Tat rassistisch kommentiert. Er wird zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.Quelle
- Am 22. Juli 2016 erschießt ein 18-jähriger Rassist in München neun Menschen und sich selbst. Alle Opfer sowie der Täter hatten einen Migrationshintergrund. Die Behörden stufen die Tat erst 2019 als rechtsextremistisch ein.Quelle
- Am 23. Oktober 2014 prügeln drei Rechtsextremisten einen Obdachlosen aus Ruanda in Limburg(Hessen) zu Tode. Zwei Täter werden zu zwölf und zehn Jahren Haft verurteilt, der dritte Täter nimmt sich in der Untersuchungshaft das Leben.Quelle
- Am 30. September 2012 tötet ein Rechtsextremist den Vater seiner Freundin in Butzow(Mecklenburg-Vorpommern). Das Landgericht Stralsund verurteilt den Täter zu elf Jahren Haft und nennt als Motiv unter anderem seine rechtsextreme Gesinnung.Quelle
- Am 16. Juni 2012 verprügeln drei Jugendliche in Suhl (Thüringen) einen 59-jährigen Mann in dessen Wohnung. Am Tag darauf stirbt das Opfer an den Verletzungen. Die Täter werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Richterin sagt später, dass sie aus einer "sozialdarwinistischen Lebenseinstellung" heraus gehandelt haben.Quelle
- Am 27. Mai 2011 wird ein Obdachloser in Oschatz (Sachsen) von fünf Männern schwer misshandelt. Wenige Tage später stirbt er in einem Krankenhaus. Die Täter erhalten mehrjährige Haft- und Bewährungsstrafen. Obwohl zwei von ihnen mit der rechten Szene sympathisieren, erkennt das Gericht kein rechtsextremistisches Motiv.Quelle
- Am 27. März 2011 wird ein Obdachloser mit vietnamesischem Migrationshintergrund in Neuss(NRW) von zwei Männern zu Tode geprügelt. Der Haupttäter wird zu einer Jugendstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt, der Komplize zu neun Jahren Haft. Obwohl der Haupttäter Kontakte zur Neonazi-Szene hat und Migrant*innen als "Kanacken" bezeichnet, erkennt das Gericht kein rassistisches Motiv.Quelle
- Am 24. Oktober 2010 stirbt ein Iraker in Leipzig, nachdem er von zwei Rechtsextremisten brutal attackiert wird. Der Haupttäter wird zu 13 Jahren Haft verurteilt, der Komplize zu drei Jahren.QuelleLeipziger Volkszeitung (2012): "BGH entscheidet: Urteil wegen Mordes an Iraker Kamal K. in Leipzig ist rechtskräftig"
- Am 14. Mai 2010 tötet der Betreiber eines illegalen Neonazi-Clubs einen Mann in Hemer (Nordrhein-Westfalen). Der Täter wird zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.Quelle
Darüber hinaus gibt es mehrere Verdachtsfälle – also Taten, bei denen das Motiv nicht geklärt ist, es aber Indizien für einen rechten Hintergrund gibt. Ein Beispiel hierfür ist der Mord an Burak Bektaş, der im April 2012 in Berlin erschossen wurde.Quelle
Hinzu kommen unzählige rechtsextremistische Anschläge, bei denen Menschen verletzt wurden. Dazu zählen etwa die Messerangriffe auf die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Oktober 2015 und auf den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein (CDU), im November 2017. Beide wurden angegriffen, weil sie sich für Geflüchtete engagiert hatten.Quelle
Auch vor 2010 gab es zahlreiche rechtsextremistische Terroranschläge, bei denen Menschen ums Leben kamen. Zu den bekanntesten Fällen gehören die Mordserie des Terrornetzwerks "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) (2000 bis 2007), der Mord an der Pharmazeutin Marwa El-Sherbini (2009), die Brandanschläge in Solingen (1993) und Mölln (1992) sowie das Oktoberfest-Attentat in München (1980), das als größter rechtsextremistischer Anschlag der Nachkriegsgeschichte gilt.Quelle
Was sind die wichtigsten rechtsextremistischen Parteien?
Im Verfassungsschutzbericht 2019 führt das Bundesinnenministerium drei rechtsextremistische Parteien auf:
1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD)
Die 1964 gegründete NPD ist mit 3.600 Mitgliedern die älteste und bislang mitgliederstärkste Partei in Deutschland, die als rechtsextremistisch eingestuft wird. Sie ist in allen 16 Bundesländern mit Verbänden vertreten.Quelle
Politische Vertretung:
- Auf kommunaler Ebene hielt die NPD im Jahr 2017 rund 320 Mandate.Quelle
- In Landesparlamenten ist die NPD nicht vertreten.
- Bei der Bundestagswahl 2017 kam die NPD nicht über 0,4 Prozent der Stimmen. Verglichen zur Wahl 2013 verlor die Partei etwa 70 Prozent ihrer damaligen Wählerschaft.Quelle
- Bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 verlor die NPD ihr einziges EU-Parlamentsmandat. Sie ist somit im Europäischen Parlament nicht mehr vertreten.Quelle
2017 ist das zweite NPD-Verbotsverfahren gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 17. Januar: Die NPD verfolge zwar "verfassungsfeindliche Ziele", aktuell gebe es jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie diese Ziele erfolgreich durchsetzen kann.Quelle
2. "Die Rechte"
2012 hat der Neonazi Christian Worch die Partei "Die Rechte" gegründet. Die meisten Gründungsmitglieder waren zuvor in der "Deutschen Volksunion" (DVU), die 2012 mit der NPD fusionierte. Zur selben Zeit wurden in Nordrhein-Westfalen drei rechtsextremistische Kameradschaften verboten, darunter der "Nationale Widerstand Dortmund" (NWDO). Viele Mitglieder der "Rechten" stammen aus diesen Kameradschaften.Quelle
2019 hatte die "Die Rechte" 550 Mitglieder und gliederte sich in acht Landesverbände mit circa 20 Kreisverbänden auf. Den Parteivorsitz teilen sich seit Januar 2019 Sascha Krolzig und Sven Skoda. "Die Rechte" machte 2019 vor allem durch fremdenfeindliche und rassistische Agitation, geschichtsrevisionistische Thesen und antisemitische Positionen auf sich aufmerksam.Quelle
Bei der Europawahl im Mai 2019 trat "Die Rechte" erfolglos an. Die inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel führte die Kandidat*innenliste als Spitzenkandidatin an. Die Liste setzte sich überwiegend aus Neonazis zusammen, die wegen einschlägiger Delikte in der Vergangenheit bereits Haftstrafen verbüßt hatten.Quelle
3. "Der III. Weg"
"Der III. Weg" ist die jüngste und bislang kleinste rechtsextremistische Partei in Deutschland. 2019 hatte sie 580 Mitglieder.Quelle
Die ideologischen Aussagen der Partei „Der III. Weg“ sind geprägt vom historischen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus. In ihrem „Zehn-Punkte-Programm“ propagiert die Partei unter anderem die Schaffung eines „Deutschen Sozialismus“ sowie die Entwicklung und Erhaltung der „biologischen Substanz des Volkes“.Quelle
Streitfall AfD
Ob auch die AfD als rechtsextremistisch bezeichnet werden kann, ist umstritten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die Partei im Januar 2019 als sogenannten Prüffall ein. Das heißt: Es prüft, ob die AfD verfassungsfeindliche Absichten hat. Die AfD reichte dagegen einen Eilantrag ein. Das Kölner Verwaltungsgericht entschied dazu im Februar 2019, dass der Verfassungsschutz die AfD nicht öffentlich als "Prüffall" bezeichnen darf. Intern wird die Partei aber weiter als Prüffall geführt.Quelle
Unstrittig ist, dass einzelne Mitglieder und Gruppierungen innerhalb der AfD rechtsextremistisch sind. Dazu gehört etwa der "Flügel", den das Bundesamt für Verfassungsschutz im März 2020 als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft hat. Dieser löste sich daraufhin zum 1. Mai offiziell auf. Die Jugendorganisation der Partei, die "Junge Alternative", wird vom Verfassungsschutz seit März 2019 als "Verdachtsfall" beobachtet. Das heißt: Die Behörde kann nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, um Informationen zu sammeln und auszuwerten.Quelle
Laut Expert*innen weist auch die Gesamtpartei Bezüge zum Rechtsextremismus auf: Sie stelle die Gleichheit aller Menschen in Frage und greife mitunter auf rechtsextreme Begriffe zurück. Gleichzeitig erkenne sie jedoch die Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung an. Der Begriff "rechtsextremistisch" sei daher nicht ganz zutreffend, "rechtspopulistisch" hingegen verharmlosend. Fachleute plädieren deshalb dafür, die AfD als "rechtsradikal" zu bezeichnen. Das bedeutet: Die Partei bewegt sich zwar im Rahmen der Verfassung, aber an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit.Quelle
Welche rechtsextremistischen Gruppen und Netzwerke gibt es?
"Reichsbürger" und "Selbstverwalter"
Die Begriffe "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" bezeichnen eine heterogene Gruppe von Einzelpersonen und Splittergruppen, die eine Mischung aus rechtsextremistischen, antisemitischen und verschwörungstheoretischen Ideologien verfolgen. Gemein ist ihnen, dass sie die Bundesrepublik nicht anerkennen und behaupten, das "Deutsche Reich" bestehe bis heute fort. Viele "Reichsbürger" verweigern daher die Zahlung von Steuern, stellen sich eigene Dokumente aus oder setzen Behördenmitarbeiter*innen unter Druck. "Selbstverwalter" bezeichnen ihr Haus oder Grundstück meist als eigenes Hoheitsgebiet, das sie im Zweifelsfall auch mit Waffen verteidigen würden.Quelle
Laut den Behörden sind nicht alle "Reichsbürger" rechtsextremistisch eingestellt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt die Zahl der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" bundesweit auf 19.000. Bei 950 davon handele es sich um Rechtsextremist*innen. Fachleute betonen jedoch, dass die Ideologie der "Reichsbürger" im Kern rechtsextrem sei.Quelle
Im März 2020 hat das Bundesinnenministerium erstmals eine Reichsbürgervereinigung verboten: den Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" und ihre Teilorganisation "Osnabrücker Landmark".Quelle
"Identitäre Bewegung"
Die "Identitäre Bewegung" ist eine rechtsextremistische Gruppierung, die vor allem gegen Muslim*innen und Flüchtlinge hetzt. Laut Verfassungsschutz zählte die "Identitäre Bewegung" 2019 etwa 600 Mitglieder. Sie stammt ursprünglich aus Frankreich und konnte sich 2012 auch in Deutschland etablieren. Nachdem die "Identitäre Bewegung" zunächst vor allem im Internet aktiv war, organisiert sie inzwischen zahlreiche Aktionen auf offener Straße.Quelle
"Identitäre" verfolgen die Idee eines auf den ersten Blick harmlos wirkenden "Ethnopluralismus". Dahinter steht jedoch die Vorstellung, dass jedes "Volk" eine eigene Kultur oder Identität hätte, die sich nicht mit anderen mischen sollte. Vor diesem Hintergrund bezeichnen "Identitäre" Einwanderung nach Europa als Bedrohung.Quelle
Laut des Verfassungsschutzberichts 2019 sind die Positionen der Identitären nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie ziele darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe aus-zuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren.Quelle
Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Beobachtung der "Identitären Bewegung" durch den Verfassungsschutz, der Darstellung im Verfassungsschutzbericht 2016 sowie der öffentlichen Verlautbarung der Einstufung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch den Verfassungsschutz sind zurzeit Gerichtsverfahren vor den Verwaltungsgerichten Köln und Berlin und dem Oberverwaltungsgericht Münster rechtshängig.Quelle
"Bürgerbewegung pro NRW"
Die "Bürgerbewegung pro NRW" wurde 2007 gegründet und macht in der Regel mit islamfeindlichen Aktionen auf sich aufmerksam. Sie ist Teil der sogenannten "Pro-Bewegung" – einem Netzwerk aus verschiedenen Parteien und Vereinigungen. Aus dem Netzwerk war die Partei "Pro Deutschland" hervorgegangen. Diese hat sich jedoch im November 2017 aufgelöst.Quelle
Wegen interner Streitigkeiten verlor die "Bürgerbewegung pro NRW" in den letzten Jahren zahlreiche Mitglieder: 2018 zählte sie noch etwa 300 Mitglieder, 2014 waren es noch über 900. Im Verfassungsschutzbericht 2019 tauchte die Gruppierung nicht mehr auf.Quelle
"Freie Kameradschaften"
Kameradschaften entstanden in den frühen 1990er Jahren, als viele rechtsextremistische Vereine und Organisationen verboten wurden. Gegen sogenannte Kameradschaften vorzugehen, ist jedoch schwieriger. Im Unterschied zu Vereinen, Parteien oder anderen Organisationen haben sie keine offizielle Rechtsform.
Kameradschaften sind meist regional aktiv – sie können jedoch bundesweit oder auch in Europa mit ähnlichen Gruppierungen vernetzt sein. Ihr Verhältnis zu rechtsextremistischen Parteien ist ambivalent und regional unterschiedlich. Ihre Bedeutung ist rückläufig.Quelle
"Autonome Nationalisten"
Dieser Sammelbegriff bezeichnet laut "Belltower News" eine Gruppe besonders gewaltbereiter junger Neonazis. Die meisten von ihnen sind in "Kameradschaften" aktiv. Sie orientieren sich in ihrem Auftreten und in ihrer Kleidung an der linksautonomen Szene, um Jugendliche anzusprechen. Auf Demonstrationen treten sie meist geschlossen in einem "Schwarzen Block" auf.Quelle
"Völkische Siedler"
"Völkische Siedler" sind extreme Rechte, die an das rassistisch-antisemitische Weltbild der sogenannten "völkischen Bewegung" anknüpfen. Sie behaupten, nur eine "rein" deutsche Abstammung könne den Erhalt des "Volkes" sichern und die deutsche "Volksgemeinschaft" sei allen anderen Menschengruppen überlegen.Quelle
Mitglieder der Gruppe werden Siedler*innen genannt, weil sie sich bewusst für das Leben auf dem Land entscheiden: Sie ziehen in wenig bewohnte Gebiete, um dort möglichst ungestört nach ihrem Weltbild leben und ihre Ideologien verbreiten zu können. Auf den ersten Blick wirken "völkische Siedler" oft harmlos: Viele arbeiten in der Landwirtschaft, engagieren sich für den Naturschutz und bringen sich in das Gemeindeleben ein. Doch vielerorts gelingt es ihnen, politisch an Einfluss zu gewinnen. Zudem gelten Teile der Szene als gewaltbereit. So organisieren einige "völkische Siedler" Überlebenstrainings und Wehrsportübungen für Kinder und Jugendliche, um diese auf die Verteidigung der "Volksgemeinschaft" vorzubereiten.Quelle
Wie viele "völkische Siedler" es gibt, ist nicht bekannt. Expert*innen vermuten jedoch, dass die Szene bundesweit vertreten ist – mit Schwerpunkten in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.Quelle
Weitere rechtsextremistische Gruppen
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer rechtsextremistischer Gruppierungen, die kleiner sind als die oben genannten Gruppen – aber nicht weniger gefährlich. Nur einige Beispiele: Die selbsternannte "Atomwaffen Division Deutschland" soll Morddrohungen an Muslim*innen, jüdischen Menschen und Politiker*innen verschickt haben. Die Gruppe "Aryan Circle Germany" bedroht Passant*innen, verklebt rechtsextreme Aufkleber und versucht, junge Menschen als Anhänger*innen zu rekrutieren. Und das rechte Prepper-Netzwerk "Nordkreuz" in Mecklenburg-Vorpommern soll Angriffe auf politische Gegner*innen geplant haben. Führende Mitglieder des Netzwerks sind (ehemalige) Mitarbeiter*innen der Polizei und Bundeswehr.Quelle
Terrornetzwerk "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU)
Selbstenttarnung
Am 4. November 2011 töteten sich die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im thüringischen Eisenach, nachdem sie von Polizisten in ihrem Wohnmobil entdeckt worden waren. Dort hatten sie sich nach einem Banküberfall versteckt, um den Fahndungsmaßnahmen zu entgehen. Kurze Zeit später legte Beate Zschäpe einen Brand in einer Zwickauer Wohnung, die den dreien über Jahre als Versteck diente. Durch gefundene und verschickte Bekennervideos wurde klar, dass sich die mutmaßlichen Terrorist*innen als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bezeichneten. Das Kürzel steht für einen der größten Skandale der Nachkriegszeit – auch, weil Polizei und Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zur rassistischen Mordserie eklatant versagten: Jahrelang haben sie Angehörige und Bekannte der Opfer verdächtigt. Zudem wurden Akten geschreddert sowie Hinweise von V-Leuten nicht weitergegeben.
Straftaten
Bisher werden dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle sowie eine Brandstiftung zugerechnet. Hinzu kommen mehrere Mordversuche. Neun der zehn Mordopfer kamen aus Einwandererfamilien.Quelle
Der Sprengstoffanschlag in Nürnberg vom Juni 1999 ist im Münchener NSU-Prozess nicht zur Anklage gekommen: Die Bundesanwaltschaft leitete zwar Ermittlungen ein, verzichtete aber aus "verfahrensökonomischen Gründen" darauf, die Tat anzuklagen.Quelle
Die Morde
- Enver Şimşek (9. September 2000, Nürnberg)
- Abdurrahim Özüdoğru (13. Juni 2001, Nürnberg)
- Süleyman Taşköprü (27. Juni 2001, Hamburg)
- Habil Kılıç (29. August 2001, München)
- Mehmet Turgut (25. Februar 2004, Rostock)
- İsmail Yaşar (9. Juni 2005, Nürnberg)
- Theodoros Boulgarides (15. Juni 2005, München)
- Mehmet Kubaşık (4. April 2006, Dortmund)
- Halit Yozgat (6. April 2006, Kassel)
- Michèle Kiesewetter (25. April 2007, Heilbronn)
Die Sprenstoffanschläge
- Sprengstoffanschlag in einem Lokal, das von einem Türkeistämmigen betrieben wurde (23. Juni 1999, Nürnberg)
- Sprengstoffanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft, das von einer iranischstämmigen Familie betrieben wurde (19. Januar 2001, Köln)
- Nagelbombenanschlag in der Keupstraße, in der überwiegend türkeistämmige Menschen lebten und arbeiteten (9. Juni 2004, Köln)
Die Raubüberfälle
- Edeka-Markt (18. Dezember 1998, Chemnitz)
- Postfiliale (6. Oktober 1999, Chemnitz)
- Postfiliale (27. Oktober 1999, Chemnitz)
- Postfiliale (30. November 2000, Chemnitz)
- Postfiliale (5. Juli 2001, Zwickau)
- Sparkasse (25. September 2002, Zwickau)
- Sparkasse (23. September 2003, Chemnitz)
- Sparkasse (14. Mai 2004, Chemnitz)
- Sparkasse (18. Mai 2004, Chemnitz)
- Sparkasse (22. November 2005, Chemnitz)
- Sparkasse (5. Oktober 2006, Zwickau)
- Sparkasse (7. November 2006, Stralsund)
- Sparkasse (18. Januar 2007, Stralsund)
- Sparkasse (7. September 2011, Arnstadt)
- Sparkasse (4. November 2011, Eisenach)
Die Brandstiftung
Nachdem Beate Zschäpe von dem Tod ihrer beiden Komplizen erfahren hatte, setzte sie am 4. November 2011 die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand. Die anschließende Explosion zerstörte große Teile des Wohnhauses.
Der Prozess
Am 6. Mai 2013 begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Unterstützer des Terrornetzwerks. Sie wurden von insgesamt 14 Anwält*innen vertreten. 91 Opfer und Angehörige waren Nebenkläger*innen im Verfahren, sie wurden von 58 Rechtsanwält*innen vertreten.Quelle
Am 11. Juli 2018 fällte das Oberlandesgericht München seine mündlichen Urteile: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt – unter anderem wegen mehrfachen Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Gericht stellte die besondere Schwere ihrer Schuld fest. Drei Mitangeklagte wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie das Terrornetzwerk unterstützt oder Beihilfe zum Mord geleistet haben: Ralf W. zu zehn Jahren, Holger G. zu drei Jahren und André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten. Der vierte Mitangeklagte, Carsten S., erhielt eine Jugendstrafe von drei Jahren. André E. und Ralf W. wurden kurze Zeit nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen.Quelle
Frühestens nach 15 Jahren kann die lebenslange Haft zur Bewährung ausgesetzt werdenihrer Schuld fest. Drei Mitangeklagte wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt: Ralf W. zu 10 Jahren, Holger G. zu 3 Jahren und André E. zu 2 Jahren und 6 Monaten. Der vierte Mitangeklagte, Carsten S., erhielt eine Jugendstrafevon 3 Jahren. André E.und Ralf Wohllebenwurden kurze Zeit nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen.Quelleihrer Schuld fest. Die Verteidiger aller Angeklagten haben Revisiongegen die Urteile eingelegt. Das heißt: Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig und müssen vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe geprüft werden. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist unklar. Auch die Bundesanwaltschaft hat Revision eingelegt, allerdings nur gegen das Urteil gegen André E.: Für ihn hatte die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft gefordert.Quelleihrer Schuld fest.
Die Vertreter*innen aller Angeklagten haben Revision gegen die Urteile eingelegt, die Bundesanwaltschaft zum Urteil gegen André E. Das heißt: Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig und müssen zunächst vom Bundesgerichtshof (BGH) geprüft werden. Das geht aber erst, wenn das Urteil schriftlich vorliegt. Das ist seit dem 21. April 2020 der Fall.Quelle
Vertreter*innen der Nebenklage haben den Ausgang des Prozesses deutlich kritisiert: Die Urteile gegen André E. und Ralf W. seien zu milde ausgefallen. Zudem seien im Prozess viele Fragen unbeantwortetgeblieben. So sei bis heute unklar, nach welchen Kriterien der NSU seine Opfer ausgesucht hat und inwieweit staatliche Behörden für die Taten mitverantwortlich waren. Zudem habe die Bundesanwaltschaft zu wenig getan, um Unterstützer*innen oder Mittäter*innen aus der rechten Szene ausfindig zu machen. Stattdessen habe sie an ihrer These festgehalten, der NSU habe lediglich aus dem "Trio" Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bestanden.Quelle
Untersuchungsausschüsse
Unabhängig vom Gerichtsverfahren in München wurden auf Bundes- und Landesebene mehrere Untersuchungsausschüsse eingerichtet. Sie befass(t)en sich mit der Aufarbeitung der Fehler, die bei der Fahndung nach dem Terrornetzwerk und bei den strafrechtlichen Ermittlungen passiert sind. Die meisten Untersuchungsausschüsse haben ihre Arbeit bereits abgeschlossen. Nur in Mecklenburg-Vorpommern ist noch ein Ausschuss im Einsatz. Die anderen Ausschüsse im Überblick:
- Auf Bundesebene tagten bereits zwei NSU-Untersuchungsausschüsse. Der Abschlussbericht des ersten Ausschusses wurde im August 2013 veröffentlicht. Der zweite Ausschuss legte im Juni 2017 seinen Bericht vor. Darin kritisiert er vor allem die von der Generalbundesanwaltschaft vertretene These, der NSU sei lediglich ein "Trio" gewesen. Zudem stellt der Ausschuss weitreichende Mängel bei der strafrechtlichen Aufklärung der Mordserie fest.
- Untersuchungsausschüsse auf Länderebene:
- In Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen tagten bereits jeweils zwei Ausschüsse. Die Abschlussberichte für Baden-Württemberg können hier eingesehen werden, die Berichte für Thüringen hier und die Berichte für Sachsen hier.
- Der Untersuchungsausschuss in Bayern legte 2013 seinen Abschlussbericht vor. In Nordrhein-Westfalen legte das Gremium 2017 seinen Schlussbericht vor, in Hessen präsentierten die beteiligten Landtags-Fraktionen 2018 jeweils eigene Berichte. Der Ausschuss in Brandenburg folgte 2019 mit seinem Abschlussbericht.
Straftaten mit Bezug zum NSU
Seit der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 haben die Behörden mehr als 450 Straftaten registriert, bei denen die Tatverdächtigen auf den NSU und/oder auf dessen Mordserie Bezug genommen haben (Stand: August 2019). 14 dieser Straftaten waren Gewalttaten.Quelle
Weitere Informationen
- Die Website "NSU-Watch" begleitete den NSU-Prozess in München und hat Protokolle zu fast allen Verhandlungstagen veröffentlicht.
- Auf der Website "NSU Nebenklage" berichteten zwei Nebenklage-Anwälte vom Prozess.
- Weitere Blogs zum Prozess finden sich bei Zeit Online und beim Bayerischen Rundfunk (BR).
- Wie Betroffene den NSU-Prozess und die Arbeit der Untersuchungsausschüsse wahrnehmen, hat der Historiker Massimo Perinelli im Interview mit dem MEDIENDIENST erklärt.
- Welche Lehren die Sicherheitsbehörden gezogen haben, haben wir in diesem Artikel erläutert.
- Bei Zeit Online gibt es eine interaktive Karte zu den "Orten des NSU-Terrors".
- Einen Überblick von Büchern zum NSU bieten zwei Artikel des MEDIENDIENSTES.
Welche Prävention gegen Rechtsextremismus gibt es?
Prävention gegen Rechtsextremismus setzt früh an - nicht erst, wenn sich Menschen radikalisieren. Vielmehr versuchen die Präventionsprogramme, junge Menschen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, eine demokratische Lernkultur zu etablieren und gesellschaftliche Vielfalt sichtbar zu machen. Die Präventionsprogramme unterscheiden sich, je nachdem an wen sie sich richten oder etwa ob sie im ländlichen oder städtischen Raum angeboten werden.
Rechtsextremismusprävention in Kitas, Schulen und Vereinen
Rechtsextremismusprävention beginnt schon in den Kindergärten: Hier können zum Beispiel Betreuer*innen oder Sozialarbeiter*innen mit Kindern darüber sprechen, wie es sich anfühlt, diskriminiert zu werden. Vor allem aber können sie versuchen, jedes Kind in seinen persönlichen Eigenschaften zu stärken. Denn dass man selbst akzeptiert und respektiert wird, gilt als Grundlage dafür, sich nicht selber abwertenden Ideologien zuzuwenden.Quelle
Das vom Bundesprogramm "Demokratie leben" geförderte Projekt "Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung" versucht, solche Ansätze in möglichst vielen Kitas zu etablieren. Die Projektmitglieder - die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - bieten hierfür unter anderem Fortbildungen und Vernetzungsmöglichkeiten für Erzieher*innen an. Etwa zwei Drittel aller Kindertageseinrichtungen werden von den Wohlfahrtsverbänden getragen.Quelle
In der Schule klären Lehrer*innen zum Beispiel durch politisch-historische Bildungsarbeit über die Gefahren des Rechtsextremismus auf. Hierzu zählt der klassische Geschichtsunterricht, aber auch etwa Fahrten zu Gedenkstätten. Falls sich ein*e Schüler*in radikalisiert, können Lehrkräfte mit Einzelgesprächen, Unterrichtsverweisen oder Klassenkonferenzen intervenieren.Quelle
Ein wichtiges Netzwerk für Präventionsarbeit in Schulen stellt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" dar. Dies sind Schulen, die sich aktiv gegen Rassismus einsetzen, indem sie zum Beispiel Konzerte, Demonstrationen, Diskussionsrunden, Projekttage oder Gedenkveranstaltungen organisieren. 3000 Schulen gehören dem Netzwerk an, weitere Schulen werden eingeladen, mitzumachen.Quelle
Außerhalb der Schule gibt es Vereine und Initiativen, die unter anderem Workshops, Gedenkstättenfahrten oder Zeitzeug*innen-Treffen mit Holocaust-Überlebenden organisieren. Das setzt allerdings voraus, dass sich Teilnehmende selber dazu anmelden. Jugendliche, die bereits zum Rechtsextremismus neigen, werden durch diese Angebote nicht erreicht. Ein Versuch, trotzdem mit einigen dieser Jugendlichen in Kontakt zu kommen, stellt die sogenannte mobile Jugendarbeit dar: Hier suchen Sozialarbeiter*innen etwa in Jugendclubs oder an üblichen Treffpunkten das Gespräch mit den Jugendlichen. Wenn sie ihr Vertrauen gewinnen, versuchen sie zum Beispiel durch Hilfe im Alltag, den Jugendlichen eine Alternative zu Kontakten und Unterstützungsangeboten aus der rechten Szene zu bieten.Quelle
Für Erwachsene bietet etwa die Initiative "Exit-Deutschland" eine Ausstiegsberatung aus der rechten Szene an. Der Verein "Mach meinen Kumpel nicht an" lädt zu Trainings ein, um einen Umgang mit rassistischen Sprüchen in Betrieben zu finden.Quelle
Rechtsextremismusprävention im Internet
Im Internet funktioniert Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus anders: Hier versuchen zum Beispiel Vertreter*innen von zivilgesellschaftlichen Initiativen in Sozialen Medien, Foren und Online-Spielen die menschenfeindliche Ideologie von rechtsextremen Kommentaren offenzulegen oder Falschnachrichten zu korrigieren. Die Amadeu Antonio Stiftung stellt mit dem Projekt "debate", persönlichen Kontakt mit Personen, die sich online rechtsextrem äußern, her, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.Quelle
Das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das die Bundesregierung in Reaktion auf den Anschlag in Halle im Oktober 2019 vorstellte, sieht außerdem vor, dass soziale Netzwerke wie etwa Facebook oder Twitter strafbare Inhalte an die Strafverfolgungsbehörden melden müssen.Quelle
Rechtsextremismusprävention durch Beratung
Bei der Prävention von Rechtsextremismus haben zwei verschiedene Formen der Beratung eine wichtige Bedeutung. Die "Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus" sind zivilgesellschaftliche Netzwerke, die es mittlerweile in allen Bundesländern gibt. Sie unterstützen Menschen, die eine rechtsextreme Radikalisierung einer Person in ihrem Umfeld beobachten oder sich gegen Rechtsextremismus einsetzen wollen. Eine solche Beratung gibt es auch online.Quelle
Daneben existieren auch "Ausstiegsberatungen", die teilweise an die Landeskriminalämter angesiedelt und teilweise zivilgesellschaftlich organisiert sind. Sie richten sich an Menschen, die die rechte Szene verlassen wollen. Aussteiger*innen können sich hier beraten lassen, Schutzkonzepte gegen potenzielle Angriffe aus der rechten Szene entwickeln und Hilfe für die Neuorientierung im Alltag bekommen. Ein Überblick über Ausstiegsberatungen in den Bundesländern findet sich hier.Quelle
Rechtsextremismusprävention auch in der Verwaltung?
Programme, die die Prävention von Rechtsextremismus als Aufgabe für die Verwaltung vorsehen, gibt es kaum. Dies fordert aber zum Beispiel das Deutsche Institut für Menschenrechte. Denn auch in Behörden gibt es immer wieder Fälle von Rechtsextremismus. Die Berliner "Landeskonzeption" ist hier bislang einzigartig: Sie ist eine Strategie des Berliner Senats gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und richtet sich sowohl an die Zivilgesellschaft als auch an staatliche Einrichtungen.Quelle
Die Finanzierung der Arbeit gegen Rechtsextremismus
Die größten staatlichen Programme zur Förderung von Rechtsextremismusprävention sind "Demokratie leben" und "Zusammenhalt durch Teilhabe". Daneben gibt es Fördermöglichkeiten durch die Bundesländer, Stiftungen und private Initiativen.
- Demokratie leben
"Demokratie leben" ist ein Programm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es fördert mehr als 600 Projekte auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene mit insgesamt 115,5 Millionen Euro im Jahr 2020.
- Auf Bundesebene fördert "Demokratie leben" 40 zivilgesellschaftliche Organisationen, die Träger von Kompetenznetzwerken sind. Fünf Kompetenznetzwerke sind auf Rechtsextremismus ausgerichtet.
- Auf Landesebene fördert "Demokratie leben" in jedem Bundesland ein Demokratiezentrum.
- Auf kommunaler Ebene fördert "Demokratie leben" 300 "Partnerschaften für Demokratie".
- Eine Übersicht zur Arbeit von "Demokratie leben" und ausgewählte Projekte werden hier vorgestellt, laufende Modellprojekte hier.Quelle
- Zusammenhalt durch Teilhabe
"Zusammenhalt durch Teilhabe" ist ein Programm des Bundesinnenministeriums. Es fördert Vereine, Verbände und Multiplikator*innen in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Der Schwerpunkt liegt auf der Ausbildung von ehrenamtlichen Demokratieberater*innen: Sie sollen Fälle von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erkennen und bearbeiten.Quelle
- Weitere Förderprogramme
Neben den beiden großen Bundesprogrammen gibt es weitere Förderungen für Programme gegen Rechtsextremismus auf Landes- und Kommunalebene. Eine Übersicht über die Programme der Länder findet sich im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus der Bundesregierung. Auch einige Stiftungen und Privatinitiativen bieten Förderungen an. Eine Übersicht findet sich hier.Quelle
News Zum Thema: Rechtsextremismus
Pressegespräch Wie können Betroffene von rechter Gewalt besser geschützt werden?
Der Mord an Walter Lübcke und die Anschläge in Halle und Hanau haben deutlich gemacht, wie groß die Gefahr durch rechtsextremistische Gewalt in Deutschland ist. Bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES diskutierten Fachleute, wie man Betroffene von rechter Gewalt besser schützen kann.
Expertise Was tun gegen Rechtsextremismus?
Morgen tagt zum ersten Mal der "Kabinettausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus". Was kann und sollte er leisten? In einer Expertise für den MEDIENDIENST geben die Rechtsextremismus-Experten Timo Reinfrank und Fabian Schroers Empfehlungen.
Chronik Rechtsextremistische Anschläge seit 2010
Hanau, Halle, Kassel: Immer wieder kommt es in Deutschland zu rechtsextremistischen Anschlägen. Der MEDIENDIENST hat eine Chronik mit Fällen aus den letzten zehn Jahren zusammengestellt.